Im Land der Legenden – mystisches Irland

Ein Artikel von REISEN Magazin/Christiane Bartal | 03.06.2020 - 10:54
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Trim Castle ist Irlands größte Festung, die übrigens auch als Kulisse für Mel Gibsons Film „Braveheart“ diente © Nicola Pulham/shutterstock

Die Landschaft ist sanft und hügelig, mit viel Grün gepolstert und hat wegen ihrer Üppigkeit schon die frühesten Siedler zu großen spirituellen Bauformen inspiriert. Der Osten Irlands ist eine ganz besondere Region: geprägt von Mystik, Geschichte und historischen Ereignissen, deren Einfluss weit über Irlands Grenzen hinaus reichte.
Wer sich auf eine Reise in das „Land der 5.000 Sonnenaufgänge“, das „historische Herz“ und die „keltische Küste“ – so die Bezeichnung der drei Regionen in Irlands historischem Osten – macht, kann sich auf spannende Vergangenheitszeugnisse, kuriose Legenden und uralte Traditionen freuen.

Boyne-Tal – wo die Geschichte beginnt

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Im Boyne-Tal reihen sich wichtige kulturhistorische Kleinode aneinander © Adam.Bialek/shutterstock

Beginnen wir unser Abenteuer in der historischen „Hauptstadt“ Irlands, dem Boyne-Tal mit dem gleichnamigen Fluss, und den monumentalen neolithischen Ganggräbern von Newgrange, Knowth und Dowth.
Wie die Perlen an einer Kette reihen sich hier wichtige kulturhistorische Kleinode aneinander: die Stätte der blutigen Schlacht am Boyne im Jahr 1690, die Klosterruine Monasterboice, das Kastell Trim Castle, Irlands größte Festung, die übrigens auch als Kulisse für Mel Gibsons Film „Braveheart“ diente, die berühmten Hochkreuze von Kells mit ihren detaillierten Verzierungen, der Hügel von Tara, der einstige Sitz der irischen Hochkönige und heiligste Stätte Irlands u. v. m. Es ist der wohl mystischste und geschichtsträchtigste Landstrich, den die Grüne Insel zu bieten hat.

Zu den bedeutendsten prähistorischen Monumenten in ganz Europa zählen die Hügelgräber mit einem geschätzten Alter von bis zu 5.000 Jahren. Damit sind sie 1.000 Jahre älter als Stonehenge und existieren 500 Jahre länger als die Pyramiden von Gizeh. Ähnlich den Pyramiden in Ägypten beherbergen sie im Zentrum eine Grabkammer, die über einen bzw. zwei lange Gänge erreichbar ist.

Magisches Licht im Hügelgrab von Newgrange

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Im neolithischen Hügelgrab Newgrange ereignet sich jedes Jahr zur Wintersonnwende ein magisches Lichtschauspiel © MNStudio/shutterstock

Mehr als 4.000 Jahre war das Hügelgrab von Newgrange verschüttet, bevor es im 17. Jh. entdeckt und erst in den 1960er und 1970er Jahren vollständig ausgegraben und die äußere Hülle rekonstruiert wurde. Das Innere des 85 m breiten Grabhügels war noch intakt – kein Tropfen Regenwasser hatte die Decke durchdrungen. Wie ein Wächter umringt die Grabstätte ein Kreis aus mittlerweile nur mehr zwölf (von ursprünglich 38) Monolithen.
Man geht davon aus, dass diese Stätte nicht nur für Begräbniszeremonien diente, sondern auch astrologischen Nutzen hatte. Jedes Jahr zur Wintersonnwende ereignet sich nämlich ein magisches Schauspiel: Im Morgengrauen des 21.  Dezember fällt ein Sonnenstrahl durch die kleine Öffnung oberhalb des Eingangs, bewegt sich den 19 m langen Gang entlang und erhellt schließlich die ganze Grabkammer für ca. 15 Minuten, in der das restliche Jahr über absolute Finsternis herrscht.
Nur einer kleinen Besuchergruppe, die jedes Jahr bei einem Lotterieverfahren auserwählt wird, ist es vorbehalten, diese gänsehautverdächtigen Augenblicke zu erleben. Alle anderen Besucher müssen sich mit einem künstlich erzeugten orangefarbenen Lichtstrahl begnügen, der zumindest einen Eindruck vom faszinierenden Spektakel vermittelt.

Taufe auf der irischen Akropolis

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Die Burgruine auf dem Rock of Cashel gilt als die „irische Akropolis“. In grauer Vorzeit sollen hier Feen und Geister gewohnt haben © Thomas Bresenhuber/shutterstock

Wir machen einen Sprung Richtung Süden zum beschaulichen Städtchen Cashel. Schon von Weitem zeichnet sich die Silhouette der auf dem Rock of Cashel thronenden Ruine, genannt „irische Akropolis“, vor dem Himmel ab. Das irische Wahrzeichen, in dem sogar Feen und Geister gewohnt haben sollen, wurde im 4. Jh. zum Sitz der Könige von Munster ausgebaut und war später auch Bischofssitz. Zeitweise stand der „Rock“, wie die Iren den Berg schlicht bezeichnen, im Wettbewerb zum Machtzentrum auf dem Hügel von Tara.

Noch heute erzählt man sich eine Anekdote, deren Begebenheiten sich im Jahr 445 hier zugetragen haben sollen: Aengus, der damalige König von Munster ließ sich von Bischof Patrick, dem späteren Heiligen höchstpersönlich, taufen. Da den Geistlichen der Bischofsstab bei der Predigt störte, rammte er ihn – wie sonst auch – neben sich in die Erde. Nur, dass diesmal neben ihm König Aengus stand, dem er, ohne es zu merken, mit der Metallspitze seines Stabs den Fuß durchstach. Aengus hielt dies für einen Teil der Zeremonie, quasi als christlichen Initiationsritus, und ertrug den Schmerz tapfer bis zum Ende der Predigt.

Vom königlichen Glanz der einstigen Festung sind in baulicher Hinsicht noch der Rundturm, eine später errichtete gotische Kathedrale als Herzstück der Anlage und eine Kapelle erhalten geblieben. Weitere noch bestehende Gebäude aus dem 15. Jh., in denen u. a. der Vikar der Kathedrale wohnte und der Chor untergebracht war, beherbergt heute ein Museum, das die Geschichte des Rock of Cashel dokumentiert.

Vom heiligen Kevin und seiner Verehrerin

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Die kleine, gut erhaltene Kapelle der frühchristlichen Klostersiedlung Glendalough wurde Kevin‘s Kitchen genannt – schließlich erinnert ihr runder Turm an einen Kamin © JiriCastka/shutterstock

Ein wildromantisches Gletschertal inmitten des Wicklow Mountains National Parks, 50  km südlich von Dublin, ist unser nächstes Ziel. Genauer gesagt die Klostersiedlung Glendalough des Heiligen St. Kevin aus dem 6. Jh. Ein spiritueller Ort im Herzen des idyllischen Tals, und einst eine richtige Stadt: mit Eingangstor, sieben Kirchen, einer Kathedrale, Bauernhöfen, einem typischen irischen Rundturm und 3.000 Bewohnern, darunter zahlreiche Mönche und Gelehrte. 

Einer Legende nach geht die Gründung der Klostersiedlung auf eine unglückliche Frauen­geschichte des Heiligen Kevin zurück. Eine Messdienerin mit „unheilig blauen Augen“ soll ihn verehrt und verfolgt haben. Vor seiner Verehrerin auf der Flucht, zog sich der Heilige Kevin in einen Felsen oberhalb des oberen der beiden Seen von Glendalough zurück. Als ihn die leidenschaftliche Kathleen in seinem Versteck aufgespürt hatte, soll sie der Heilige in den See gestoßen haben, wo sie ertrank. Aus Reue gründete der Heilige Kevin am unteren See ein Kloster, wo er zurückgezogen im Einklang mit der Natur lebte. Natürlich ist dies nur eine der vielen irischen Legenden. In Wahrheit gründete St. Kevin eine Abtei, um das asketische Leben zu lehren. Er selbst hauste im Wald und in jener Höhle oberhalb des Sees, in der er angeblich schlief.

Der Heilige Kevin soll am 3. Juni 618 im biblischen Alter von 120 Jahren gestorben sein. Zu seinen Ehren wird jährlich an seinem Sterbetag der St. Kevin’s Day gefeiert, zu dem tausende Menschen nach Glendalough pilgern. 500 Jahre lang zählte der nach seinem Tod zur Klostersiedlung herangewachsene Ort zu den größten religiösen Zentren Irlands. Von den Wikingern geplündert, von einem Feuer zerstört und 1398 von den Normannen erobert, kann Glendalough auf eine ereignisreiche Geschichte zurückblicken.

Vom einstigen „Rom des Westens“ sind nur noch wenige Ruinen übrig geblieben. Das eindrucksvollste Relikt ist der 30  m hohe Rundturm, in dem religiöse Reliquien, Bücher und Schätze vor den Wikingern versteckt wurden. Außerdem erhalten sind eine Kapelle, die Ruine einer Kathedrale, ein Priesterhaus und der alte Friedhof.

Der Leuchtturm am „Friedhof der tausend Schiffe“

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Seit 800 Jahren markiert der Leuchtturm am Hook Head die gefährlichen Klippen der Halbinsel. Einst sorgten Mönche für das Leuchtfeuer – daran erinnert noch eine Kapelle in seinem Inneren © Adrian Pluskota/shutterstock

Wir verlassen nun das Landesinnere und begeben uns an die „Keltische Küste“ Ostirlands, einst von Wikingern belagert und von berühmten Schiffen angesteuert. Unser Ziel ist der Leuchtturm „Hook Head“, der am äußersten Ende der Hook-Halbinsel steht. Das Meer rund um die Halbinsel galt seit jeher als gefährlich und brachte vielen Seeleuten Unheil, weshalb es auch als „Friedhof der tausend Schiffe“ bezeichnet wird. Bereits im 5. Jh. brannte an dieser Stelle ein Signalfeuer, um die Fischer und Seefahrer vor den Klippen zu warnen. Den Leuchtturm ließ schließlich William Marshal, Earl von Pembroke, im frühen 13. Jh. errichten, um seine Schiffe sicher in den Hafen von Waterford, bereits damals eine wichtige Handelsstadt, zu bringen. Seither verrichtet der über 36 m hohe Turm aus Kalkstein mit den 4  m dicken Mauern seinen Dienst – mit seinen 800 Jahren ist er einer der ältesten noch in Betrieb befindlichen Leuchttürme der Welt.

Mönche und Nonnen waren die Ersten, die das Leuchtfeuer als Akt christlicher Nächstenliebe hüteten, ehe sie im 17. Jh. vertrieben wurden. Später kümmerten sich ortsansässige Leuchtturmwärter, die mit ihren Familien im Turm lebten, um den ordnungsgemäßen Betrieb, bevor sie in nebenan neu errichtete Häuser zogen. Heute wird der Leuchtturm ferngesteuert betrieben und ist auch für die Öffentlichkeit zugänglich. In den ehemaligen Wohnhäusern der Leuchtturmwärter ist das Besucherzentrum samt Café, Ausstellungen und Souvenirshop untergebracht. Wer die 115 gewundenen Stufen auf den Leuchtturm erklimmt, vorbei an den Überresten der einstigen Kapelle der Mönche, wird mit einer spektakulären Aussicht über das Meer belohnt.

Der Zauber der grünen Landschaft und der Atem der jahrtausendealten Geschichte verbinden sich vielerorts in Irlands historischem Osten. Man muss nur den unzähligen Spuren der Vergangenheit folgen ...