Iona – Insel für einen Heiligen

Ein Artikel von REISEN-Magazin/Gerda Walton | 25.08.2021 - 08:46
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Blick auf Ionas Abteikirche © AlanMorris/Shutterstock

Ägäis, denkt man spontan, während sich die behäbige Fähre, der starken Strömung zwischen den Inseln Mull und Iona trotzend, ihren Weg durch ein Meer von so unglaublicher Bläue bahnt, dass einem keine adäquate schottische Bezeichnung dafür einfallen will. Eine Spur von wirbelndem weißem Schaum hinter sich her ziehend, pflügt sie mitten durch die sich mit jedem Augenblick verändernden Farbtönen, von intensiv leuchtendem Blau und dem Grün des früher auf der Insel abgebauten Marmors, bis hin zu hellstem, durchscheinendem Türkis.

Alle Jahreszeiten an einem Tag

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Türkisblaues Wasser rund um die Insel © Elizabeth O'Sullivan/Shutterstock

Greifbar nahe liegt einem jetzt das Ziel einer langen Pilgerreise quer durch Schottlands kargen Norden vor Augen. Auch wenn sich an nicht wenigen Tagen der braungraue Granit der uralten Abteikirche von Iona im diffusen Licht nur schwer ausmachen lässt und von den tief herabhängenden, bleifarbenen Wolken kaum unterscheidet. Sobald aber die Sonne über dem berühmten Sund von Iona von einem tiefblauen Himmel strahlt und den vom Golfstrom mitgeführten schneeweißen Muschelsand in den kleinen Buchten magisch aufleuchten lässt, heben sich ihre massigen, steinernen Konturen urplötzlich scharf gezeichnet von der Umgebung ab.
Die Fähre beginnt, sich unter dem Gewicht der vielen Fotografen, wie in einer Reverenz vor dem hier seit Jahrhunderten verehrten Heiligen, deutlich der Abbeyseite zuzuneigen. Das kann binnen Sekunden geschehen und auch ebenso kurz nur anhalten, denn das Wetter ist auf den Hebriden launisch und von spontanen Einfällen geprägt. Nicht umsonst sagen die Schotten, dass man nur ein Weilchen warten müsse, so einem das Wetter nicht gefällt, und dass man in ihrem Land an einem Tag alle Jahreszeiten erleben könne. 

Straße des Todes

Es muss wohl einer dieser vom berühmten, klaren Licht der Hebriden erfüllten Tage gewesen sein, an dem der irische Prinz und Druiden-Magier Columba als Buße für den Tod von 3.000 Gefolgsleuten, für den er sich verantwortlich fühlte, seine Heimat Irland verließ und im Jahr 563 mit zwölf Getreuen die Insel betrat. Der Legende nach soll es im Mai gewesen sein, also zu einer Jahreszeit, in der man sich auch heute noch unschwer in Iona verlieben kann. Wobei natürlich nicht sicher ist, ob schon damals Bluebells, gelbe Irisblüten und Millionen von Gänseblümchen die Insel in einen Blumengarten verwandelt haben.
Columba und seine Mönche erbauten aus Holz, Torf und Steinen ein bescheidenes Gotteshaus und legten Gärten an, deren unerwartete Fruchtbarkeit selbst heute noch die Besucher des von Heide und Moor geprägten schottischen Hochlandes überrascht. Bunte Blumen, Kräuter, Artischocken und viele andere Gemüsearten wachsen hier im wärmenden Arm des Golfstroms in einer überraschend bunten Fülle und lassen die berühmte „Street of the Dead“, die uralte Begräbnisstraße, über die während des Sommers täglich Hunderte von Touristen von der Fähre zur Abteikirche und zum „Reilig Odhrain“, dem Friedhof der Könige, pilgern, eher als einen fröhlichen Gartenspaziergang erscheinen. Blaurot blühende Fuchsienbüsche säumen die einzige Straße der autolosen Insel. Während im Frühling wilde Iris die sumpfigen Wiesen, auf denen wollige Schafe weiden, mit gelben Tupfen sprenkeln und im Spätsommer ein Meer von Heide die Anfahrt über die Hauptinsel Mull begleitet.

Was von den Wikingern übrig blieb

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Vintage-Gravur: Ruinen der St Mary's Abtei in Iona © Morphart Creation/Shutterstock

So zahlreich die Spuren sind, die von den frühchristlichen Missionaren Ionas auf den Britischen Inseln und darüber hinaus in ganz Europa hinterlassen wurden – man denke nur an die Schottenbastei in Wien – so wenig blieb auf der Insel selbst nach zahlreichen zerstörerischen Wikingerüberfällen übrig. Bei deren schlimmstem wurden 68 Mönche in der Martyrs’ Bay erschlagen. Heute landen dort übrigens die täglich verkehrenden Mc Brayne-  Ausflugsschiffe. Das berühmte „Book of Kells“, das auf Iona entstanden sein soll, konnte rechtzeitig vor einem dieser Überfälle gerettet werden und ist in der Bibliothek des Trinity Colleges in Dublin zu besichtigen. 
Das wuchtige, in seiner betonten Schlichtheit aber überaus stimmungsvolle Gotteshaus, geht auf das frühe 13. Jh. zurück, als hier eine Benediktinerabtei gegründet wurde. Wenig später wurde auch ein Augustinerinnenkloster errichtet, das heute allerdings nur mehr als liebevoll mit Blumen geschmückte Ruine zu besichtigen ist. Nachdem Iona eine Zeit lang sogar Bischofssitz und die kleine Kirche damit zur Kathedrale der Hebriden wurde, begann mit der englischen Reformation eine Zeit des Verfalls. Anfang des 20. Jh. wurde die Abbey wieder aufgebaut und in den vergangenen Jahren erneut einer gründlichen Renovierung unterzogen. Wie vor fast 1.500 Jahren erfüllt die Iona Community, ein Priester- und Laienorden, die Insel wieder mit religiösem Leben. Viele Besucher dürften überrascht sein, wie sehr die ehrwürdige Stätte in den Alltag der wenigen hier lebenden Menschen integriert ist. Sie wird, in Ermangelung anderer Möglichkeiten, als eine Art Musikschule genutzt, wovon die nicht immer astreinen Klavier-, ja sogar Trompeten-Töne zeugen, die das ansonsten so stille Kirchenschiff gelegentlich erfüllen. Besonders berührend sind die auf eine Pinnwand gehefteten kleinen Zettelchen mit Bitten an den heiligen Columba. Ungelenke Kinderschriften sind dabei, liebevolle Zeichnungen, ein Querschnitt durch die Sorgen und Nöte Hilfe suchender, verzweifelter Menschen. Ach, geht es mir doch gut, denkt man unwillkürlich beim Hinausgehen aus der Dunkelheit der Kirche in den strahlenden Hebriden- Sommertag.

Königliche Ruhestätte

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S.t Columba's Abtei © Malabi/Shutterstock

Ein bisschen hält man sich noch am Prominentenfriedhof von Iona auf, auf dem 60 schottische, aber auch irische und norwegische Könige ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Darunter Kenneth Mac­Alpine, der erste König der Pikten und Schotten, und sogar in der Literatur verewigte Berühmtheiten wie Duncan und Macbeth, die hier im „Beinhaus ihrer Ahnen“ liegen, wie es Shakespeare in einer vermutlich nur für Iona-Besucher verständlichen Formulierung ausgedrückt hat. Einige der mittelalterlichen Grabplatten sind im Abteimuseum zu besichtigen. Vielleicht denkt der eine oder andere auch darüber nach, wie unerforschlich doch die Wege des Schicksals sein können, selbst wenn es sich um die Insel eines Heiligen handelt. Für die Insel Iona erwies sich das genau am 24. Mai 1979. 

Wiege der Christenheit

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Schafherde auf Iona © TTphoto/Shutterstock

An diesem Tag brachte eine Zeitungsanzeige in der New York Times und im Wall Street Journal die schottische Volksseele in Aufruhr. Es wurde dort per Inserat eine Hebrideninsel zum Kauf angeboten, wie es eine Vielzahl vor der Westküste Schottlands gibt. Aber es war nicht irgendeine Insel, die vom Herzog von Argyll angeboten wurde, sondern „Icolmkill“, wie Iona auf gälisch genannt wird – die „Wiege der Christenheit in Schottland“ und Insel des heiligen Columba. Der Herzog von Argyll repräsentiert den Campbell-Clan – und bei den Schotten, die diesem nicht angehören, wurden damit uralte, emotionsgeladene Erinnerungen wach. Immerhin waren es nicht die Campbells, die die Insel für die Beteiligung am Massaker von Glen Coe 1693 erhielten. Bevor die Stammburg des Clans „Inverary Castle“ von erbosten Schotten erstürmt wurde, stiftete der damalige Besitzer des Londoner Luxuswarenhauses Harrods (schottischer Herkunft) dem National Trust of Scotland die zum Kauf erforderlichen eineinhalb Millionen Pfund. Die erregten Wogen konnten sich nun wieder glätten. Wahrscheinlich wäre das winzige Iona ohne diesen Zwischenfall, der den Namen der Insel um die Welt trug, nie so berühmt geworden. 

Möge doch nur die Zeit still stehen

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Fähre von Mull nach Iona © AlanMorris/Shutterstock

Bevor sich der tägliche Touristenstrom am Nachmittag wieder in umgekehrter Richtung in Bewegung setzt und die Fähre die letzten Tagesbesucher zurück nach Mull und weiter nach Oban bringt, zieht es Entdeckungsfreudige hinüber auf die andere, die unbewohnte Seite der Insel. Die Sonne lässt die von der Flut zurück gelassenen kleinen Tümpel auf dem weißen Strand wie Edelsteine glitzern. Man setzt sich irgendwo in den mehlfeinen Sand oder ins ganz kurze, harte Wiesengras, zwischen unzählige Gänseblümchen, bewundert die Flugkünste der Möwen und registriert überrascht, dass das winzige Iona sogar über einen Golfplatz zwischen Dünen und Meer verfügt. Man hat eigentlich nur einen Wunsch: dass die Zeit still stehen möge, weil sie gerade so schön ist.
Irgendwann einmal möchte ich die letzte Fähre nach Mull hinüber versäumen und zumindest einen dieser endlos langen Hebriden-Sommertage auf Iona bis zur Neige auskosten. Mir den salzigen Wind um die Ohren blasen lassen und den grandiosen Sonnenuntergang genießen. Vielleicht hätte ich doch auch einen Wunschzettel an die Pinnwand der Abbey heften sollen. Aber solche Wünsche fallen wohl eher nicht in den Zuständigkeitsbereich eines Heiligen.