Almenwanderung auf die Tonion

Ein Artikel von Mag. (FH) Eva Riegler | 26.04.2016 - 15:04

Die Tonion, der höchste Berg im nordwestlichen Stock der Mürzsteger Alpen zwischen Niederalpl und Mariazell, ist für seine traumhafte Aussicht bekannt und dennoch sind hier keine großen Menschenmassen anzutreffen. Das Fehlen größerer Hütten oder von Klettersteigen mag ein Grund dafür sein. Dass die Region ein wenig abgelegen und öffentlich nur schlecht zu erreichen ist, trägt sicher auch dazu bei. Trotzdem bietet er genau deshalb beste Möglichkeiten, einige ruhige Stunden in unberührter Berglandschaft zu verbringen.

Eisen & Wasser – Schätze der Region

Ausgangspunkt unserer Wanderung ist die Schöneben, die wir von Fallenbach, in der Nähe von Gußwerk, auf einer etwa 5 km langen Schotterstraße erreichen. Bereits um 1200 begann in der Region der Erzabbau. Der Gußwerker Spateisenstein, der wegen seiner hochwertigen Qualität auch als „Waldeisen“ bezeichnet wurde, machte bald jenem des Erzberges Konkurrenz.

Erste urkundliche Erwähnung findet „Eisengußwerk nächst Mariazell“ im Jahr 1342. Bis ins 19. Jh. wurden in den Stahlwerken nicht nur Werkzeuge und Nägel, sondern auch – je nach politischer Lage – Kanonen, Mörser und Munition hergestellt. 1899 endete die glanzvolle Zeit der Eisenerzeugung mit dem Erlöschen des letzten Hochofens.

Neuerlichen Aufschwung erlebte Gußwerk durch den Bau der Zweiten Wiener Hochquellenwasserleitung. 1910 eröffnete Kaiser Franz Joseph I. die für Wien wichtige Lebensader. Seitdem fließen täglich mehr als 200.000 m3 Hochschwab-Wasser über eine Entfernung von fast 200 km von Gußwerk nach Wien.

Alpine Blumenpracht

Direkt am Parkplatz Schöneben ragen die Felsen des Arzkogels in die Höhe, der den südlichen Eckpfeiler des Stocks der Hohen Student bildet. Wir folgen der Markierung 06 in Richtung Herrenboden. Der felsige Pfad führt das erste Stück mäßig steil durch den Wald und fordert unsere Aufmerksamkeit.

Die Vegetation auf dem steinigen Boden fasziniert uns. Da stehen riesige Bäume, die scheinbar auf einem Stein wachsen. Bei genauerem Hinsehen bemerken wir, wie sie ihre Wurzeln um die Felsen geschlungen haben und aus dem kärglichen Waldboden Wasser und Nährstoffe für ihr Wachstum ziehen.

Nach etwa einer halben Stunde erreichen wir die Paulaquelle. Nur spärlich tröpfelt das Wasser aus dem hölzernen Brunnenrohr, um gleich wieder im moosigen Boden zu versickern. Einige Male kommen uns Wanderer entgegen, welche die letzte Etappe des Steirischen Mariazellerweges in Angriff genommen haben und vom Niederalpl in den Wallfahrtsort marschieren.

Über ein schmales Wiesenstück und einen letzten, kurzen Waldweg erreichen wir das nördliche Ende des Herrenbodens. Von Weitem sehen wir die Eisenskulptur der „Madonna vom Herrenboden“. Ein – etwas gewöhnungsbedürftiges – modernes Kunstwerk, das sowohl auf die Tradition der Wallfahrt in der Region als auch auf die Bedeutung der Eisenerzeugung in der wirtschaftlichen Entwicklung Bezug nehmen möchte.

Vor uns erstreckt sich die große Weite dieses sanft nach Süden geneigten Almbodens, umrahmt von Veitschalpe und Wildkamm. Der Winter dauert lange hier oben, aber ab Mai hüllt sich der Berg in einen bunten Mantel. An schattigen Stellen verblühen die letzten Schneerosen und Spätlinge des Seidelbasts, Soldanellen zeigen an, dass der Winter noch nicht lange vorbei ist, da überziehen Tausende gelbe Blüten des Petergstamms die felsigen Regionen, die Wiesen färben sich mit dem Blau des Stengellosen Enzians und dem Rosa der Clusiusprimel. Bald folgen die Orchideen.

Die Blütenpracht dauert bis zum Herbst, wenn der Pannonische Enzian das Ende der warmen Jahreszeit andeutet. Und wer das Glück hat, mit einem Führer unterwegs zu sein, der die Alm kennt, der bekommt sogar das Edelweiß gezeigt. Die weißen Sterne sind nur an einer einzigen Stelle – die nur wenige wissen – zu finden und es sind auch nur wenige Blüten, die unser Auge erfreuen.

Mariazeller-Blick

In einiger Entfernung sehen wir die Hütte, die der Halter (Viehhirte) am Herrenboden bewohnt. Doch wir halten uns in westlicher Richtung und steigen das steilste Stück unserer Tour zum Hochschnabeltörl hinauf. Hier öffnet sich erstmals die Sicht nach Südwesten zum Hochschwab. Von der Hochweichsel über den Ringkamp und den Hauptgipfel bis zum Großen Ebenstein sind etliche seiner markantesten Erhebungen in unserem Blickfeld.

Nun erwartet uns ein breiter Talkessel, den wir in halber Höhe umwandern, um schließlich noch einen letzten Aufstieg durch ausgedehnte Latschenfelder zum Gipfelkreuz der Tonion auf 1.699 m zu bewältigen.

Über die Herkunft des Namens „Tonion“ können wir nichts Genaueres in Erfahrung bringen. Es wird jedoch vermutet, dass er von den Slawen herstammt (wie auch umliegende Gipfel wie Student, Proles oder Pretul), die im 6. Jh. n. Chr. dieses Gebiet besiedelten.

Die Aussicht ist überwältigend. Vor uns liegen Hochschwab, Veitsch, Göller, Schneeberg, Schneealpe, Hinteralm und Rax, Kräuterin, Dürrenstein und Ötscher sowie Zellerhüte und Zeller Staritzen; rechts im Talbecken liegt Mariazell. Wir tragen uns im Gipfelbuch ein und nehmen uns Zeit für eine ausgiebige Rast.

Vom Leben auf der Alm

Auf demselben Weg, auf dem wir gekommen sind, wandern wir bis zum Herrenboden zurück. Hier zweigen wir rechts ab und marschieren quer über die weite Almfläche zur Hütte. Am Bergrücken, oberhalb der Hütte, befinden sich einige interessante Höhlen.

Der Riesenschacht ist über 500 m tief, was lange als Rekord galt. Aus dem Knochenschacht, der neben dem Anstieg von der Hütte zum höchsten Punkt liegt, bargen Forscher Reste von Höhlenbären mit Spuren menschlicher Bearbeitung. Die Bärentatzenhöhle verdankt ihren Namen den im Lehm erhaltenen Abdrücken der Tatzen des Tieres. Eine Befahrung der unterirdischen Gang- und Schachtsysteme ist allerdings nur erfahrenen Höhlenforschern vorbehalten und verlangt auch die entsprechende Ausrüstung.

Beim Halter kehren wir ein und erfahren vom Almleben. Die Weide ist eine der am schwierigsten zu bewirtschaftenden, da keine Straße besteht. Alles was der Senn für sich, die Tiere und einkehrende Wanderer braucht, wird mit dem Auto bis zum Felsen gebracht, umgeladen und mit dem Motorkarren das letzte Stück zur Hütte transportiert. Seit vielen Jahren verbringt er jeden Sommer hier oben und betreut die Tiere. Dazu ist er jeden Tag einige Stunden unterwegs. Wenn das Wetter schlecht ist oder er einzelne Tiere suchen muss, dauert es länger. Das Leben ist einfach. Strom gibt es nicht. Ein hölzerner Badezuber vor der Hütte bringt ein wenig Luxus ins einfache Leben.

Weiter geht es von der Hütte rechts noch einmal ein kurzes Stück bergauf zum Buchalpenkreuz. Angeblich soll hier – wo sich heute ein schmiedeisernes Kreuz befindet – einmal eine Kapelle gestanden sein. Wir steigen über den Grenzzaun zur Dürrieglalm und wandern am steilen „Gaissteigl“ zum eigentlichen Almgebiet hinunter, das wir queren.

Bald schon erreichen wir die Almhütte, wo wir noch einmal kurz Halt machen. Auf der breiten Schotterstraße, die uns direkt zur Schöneben bringt, nehmen wir schließlich den Rückweg in Angriff.

Almenwanderung auf die Tonion

Gehzeit: 4 Stunden

Höhendifferenz: 600m

Anfahrt: Von der B 20, aus Gußwerk kommend, in Fallenbach links abbiegen und der Schotterstraße durch den Lieglergraben ca. 5 km zum Parkplatz Schöneben folgen.

Wegverlauf: Schöneben (1.099 m) - Paulaquelle - Herrenboden – Hochschnäbeltörl (1.616 m) – Tonion Gipfelkreuz (1.699 m) – Herrenboden – Buchalpenkreuz (1.402 m) – Dürrieglalm (1.353 m) – Schöneben (1.099 m)

Besonderheiten: Schöne Wanderung mit hochalpinem Charakter abseits großer Menschenmassen


Info:
www.mariazell-info.at
www.hochsteiermark.at