Zu Fuß über die Streif

Ein Artikel von REISEN-Magazin/Christiane Bartal | 25.06.2020 - 09:22
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Der Ausblick auf die beeindruckende Bergkulisse ist einzigartig © lightsandsquares/shutterstock

Piep, piep piep, piiieeep. Das Startsignal gerade noch vernehmend, stürzen Sie sich auf Skiern den Hang hinunter. Kein Blick für das traumhafte Bergpanorama – einfach nur diese Abfahrt heil überstehen. Die erste leichte Kurve in Ideallinie erwischt, wird es bei der nächsten schon brenzliger. Die Mausefalle hat schon den mutigsten Skirennläufern den Angstschweiß auf die Stirn getrieben ... Im Streif-Simulator fühlt sich auch der eingefleischteste Nicht-Skifahrer wie ein Held auf zwei Brettln.
Mit einer maximalen Neigung von 85 % gilt die Streif als die schwierigste Abfahrtsrennstrecke der Welt. Ihren Namen verdankt sie übrigens einem Brixner Bauern namens „Straiff“, dem die Streifalm im oberen Streckenabschnitt gehörte. Jedes Jahr im Jänner strömen rund 80.000 Besucher zum legendären Hahnenkamm-Rennen nach Kitzbühel. Der Schnee, auf dem die Skirennfahrer noch vor wenigen Monaten wagemutig die 860 Höhenmeter über Mausefalle und Hausbergkante absolviert haben, ist längst geschmolzen. Der Sommer hat Einzug gehalten in Kitzbühel. Ja, es gibt auch ein Kitzbühel nach dem Winter, ohne Skifahrer. Wenn das satte Almgrün auf den Bergen dominiert, sind die bequemen Wanderschuhe gefragt, um das weitläufige Wegenetz der Region zu erkunden.
Wer den Mythos Streif hautnah erleben möchte, folgt dem KitzTrail „STREIF-live“ entlang ihrer spektakulären Schlüsselstellen. Von der Bergstation der Hahnenkammbahn bis zum Zielschuss in 2,5  Stunden – das ist die gemütliche Seite der sommerlichen Streif. Auch wenn die Gehzeit kurz erscheint, planen Sie unbedingt einen halben bis ganzen Tag ein, um die Streif zu erkunden, schließlich gibt es mehrere interessante Zwischenstopps.  

Mit der Hahnenkammbahn zum Bergbahnmuseum

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Im Jänner kommen zahllose Schaulustige nach Kitzbühel, um das Hahnenkammrennen zu sehen. Doch auch im Sommer ist der Ort eine Reise wert © rochus/shutterstock

Mit der Hahnenkammbahn – 1929 errichtet war sie die weltweit erste für Skifahrer konzipierte Seilbahn – sind die Höhenmeter bis zur Bergstation Hochkitzbühel auf 1.668 m rasch überwunden. Passenderweise tragen die Gondeln die Namen der Hahnenkammsieger, wobei als echter „Hahnenkammsieger” nur der Gewinner der klassischen Kombinationswertung aus Abfahrt (auf der Streif) und Slalom (am Ganslernhang beim Streif-Zielgelände) gilt. Gondel Nummer 1 trägt nicht zufällig den Namen der Skilegende „Toni Sailer“. Der Lokalmatador gewann zwischen 1956 und 1958 viermal, davon zweimal die Königsdisziplin und trug damit bedeutend zum Aufstieg Kitzbühels zum mondänen Skiort bei.
Oben angekommen finden Sie sich direkt im Bergbahnmuseum wieder. Das Museum besteht bereits seit 1993, dem Jubiläumsjahr der 100-jährigen Skigeschichte Kitzbühels. Zu sehen sind u. a. die Ausrüstung der ersten Tiroler Skiläufer und der spannende Werdegang des Pionier-Skiortes. Als Vorgeschmack auf die Wanderung danach können Sie hier bereits die Streifabfahrt im Simulator erleben – und das alles bei freiem Eintritt.
Von der Bergstation sind es nur wenige Schritte bis zum Starthaus der legendären Abfahrtsstrecke auf 1.665m. Kurz stockt tatsächlich der Atem beim Blick hinunter auf den nervenkitzelerregenden, abschüssigen Wiesenhang. Das Rennen kann beginnen!

Talwärts über Mausefalle und Karussell

Das weite Bergpanorama mit Wildem Kaiser und Kitzbüheler Horn vor Augen, geht es talwärts. Und zwar ganz schön steil, denn gleich nach dem Start liegt die berühmt-berüchtigte Mausefalle – das mit 85 % Gefälle steilste Teilstück der Strecke. Mit einem 60 m weiten Sprung setzen die Rennläufer auf der harten Piste auf. Die Bezeichnung „Mausefalle“ soll noch von Toni Sailer senior, dem Vater der Skilegende stammen, den der Sprung in das steile Gelände an eine alte Drahtmausefalle erinnerte.
Hier befindet sich auch eines der vier Infotainment-LCD-Portale, die an den wichtigsten Schlüsselstellen – Starthaus, Mausefalle, Einfahrt Steilhang und Hausbergkante – mit beeindruckenden TV-Mitschnitten in das reale Renngeschehen der vergangenen Jahrzehnte entführen. Binnen 8 Sekunden erreichen die Rennläufer eine Geschwindigkeit von bis zu 120 km/h. In der danach folgenden Kompression sind sie kurze Zeit dem Zehnfachen ihres Körpergewichtes ausgesetzt.
Auf die Mausefalle folgt das Karussell, eine S-Kombination mit 180-Grad-Kurve, die in den Steilhang hinein führt. Der Steilhang zählt zu den technischen Gustostückerln im Weltcup. Um die eisige Stelle komplikationsfrei zu überwinden, bedarf es scharfer Kanten und eines richtigen Timings. Treppen und mehrere Serpentinen erleichtern Ihnen den Abstieg.
Danach folgen mit dem Brückenschuss und dem Gschöss zwei flache Gleitstücke. Nur wer aus dem Steilhang ausreichend Geschwindigkeit mitnimmt, bleibt hier im Rennen um Hundertstelsekunden.

Erfrischung in den Seidelalmseen

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Gönnen Sie sich eine kleine Abkühlung in einem der zwei spiegelglatten Seidlalmseen © andreas ehrensberger/shutterstock

Über die Alte Schneise in riskanter Schräglage nähern Sie sich der Seidlalm. Während die Rennfahrer nur darauf konzentriert sind, den heimtückischen Sprung mit nachfolgender Kurve sturzfrei zu überwinden, gönnen Sie sich in einem der beiden Speicherseen auf dem Seidl­almkopf eine Erfrischung. Die malerisch gelegenen Seen wurden künstlich als Wasserreservoir für die Pistenbeschneiung angelegt.
Weiter unten liegt die Seidlalm. Die bis Sommer 2015 bewirtschaftete Hütte ist ein legendärer Ort, schließlich wurde hier 1966 nach der Idee des französischen Ski-Journalisten Serge Lang die Durchführung des alpinen Skiweltcups beschlossen.
Dann kommt das dramatische Finale: Auf Lärchenschuss und Hausbergkante folgt der Zielschuss, wo die Skiläufer Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 140 km/h erreichen. Doch keine Panik – nehmen Sie einfach beim Lärchenschuss den gemütlichen, markierten Waldweg auf die Asphaltstraße. Kurz danach können Sie sich entscheiden: Entweder Sie folgen weiterhin dem KitzTrail und nehmen noch den Umweg links über die Ganslern Alm zum Zielgelände, oder Sie folgen geradeaus der Asphaltstraße bis zur Talstation der Hahnenkammbahn.
Gratulation, Sie haben die Streif bezwungen! Sieger sind schließlich alle, die wohlbehalten ins Ziel kommen.