Wie ein Bauwerk die Erdrotation verändert

Ein Artikel von Gerald Stiptschitsch | 27.07.2025 - 08:05
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Die Drei-Schluchten-Talsperre am Jangtsekiang in China © PRILL/Shutterstock

Sie ist nicht nur das größte Wasserkraftwerk der Welt, sondern ein Symbol für technischen Fortschritt – und ein Mahnmal für die Konsequenzen großangelegter Eingriffe in Natur und Gesellschaft. Dass dieses Bauwerk sogar die Erdrotation beeinflusst, mag zunächst unglaublich erscheinen. Doch die Fakten sprechen für sich.

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Die Drei-Schluchten-Talsperre ist das größte Wasserkraftwerk der Welt © gyn9037/Shutterstock

Die Idee, den wasserreichsten Strom Chinas zu zähmen, reicht bis ins frühe 20. Jh. zurück. Der eigentliche Baubeginn erfolgte 1994, und bereits 2003 wurde mit dem Aufstauen des Wassers begonnen. Die Fertigstellung der Staumauer samt aller Kraftwerkskomponenten zog sich bis 2012. Die Mauer ist über 2,3 km lang und bis zu 185 m hoch. Hinter ihr staut sich der Jangtse auf einer Länge von rund 600 km. Das Wasservolumen des Stausees umfasst etwa 39 Milliarden m3. Die installierte elektrische Leistung beträgt 22.500 Megawatt – mehr als das Fünfzehnfache eines typischen Kernkraftwerks. Damit zählt die Anlage zu den bedeutendsten Erzeugern erneuerbarer Energie weltweit und liefert jährlich über 90 Terawattstunden Strom.

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Das Wasservolumen des Stausees umfasst etwa 39 Milliarden m3 © isabel kendzior/Shutterstock

Absiedlungen und Folgen für den Planeten

Doch dieser technische Triumph hatte seinen Preis. Im Vorfeld der Flutung wurden insgesamt 13 Städte, über 1.300 Dörfer und zahlreiche Kulturstätten überflutet. Rund 1,3 Mio. Menschen mussten umgesiedelt werden, häufig mehrfach. Viele verloren nicht nur ihre Häuser, sondern auch ihre wirtschaftliche Existenz. Auch die ökologischen Auswirkungen sind beträchtlich: Eingriffe in das sensible Flusssystem des Jangtse veränderten regionale Ökosysteme, begünstigten Erdrutsche und steigerten lokal das Risiko seismischer Aktivitäten.

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Es gilt als Projekt voller Gegensätze © burakyalcin/Shutterstock

Ein Detail allerdings lässt selbst nüchterne Wissenschaftler staunen: Die Drei-Schluchten-Talsperre beeinflusst nachweislich die Erdrotation – wenn auch nur minimal. Der riesige Damm hält eine gewaltige Wassermasse zurück, die das Trägheitsmoment des Planeten verändert. Die NASA hat berechnet, dass sich durch die Umverlagerung des Wassers der Erdtag um etwa 0,06 Mikrosekunden verlängert – sehr gering, aber immerhin. Die Rotation unseres Planeten wird also messbar verlangsamt – ein Effekt, der normalerweise nur bei großen tektonischen Ereignissen oder Polbewegungen beobachtet wird. Würde man die Verlangsamung auf das Alter des Universums hochrechnen, wäre die Erde heute um 3 Tage jünger. 

So bleibt die Drei-Schluchten-Talsperre ein Projekt voller Gegensätze. Sie schützt Millionen Menschen vor Hochwasser, liefert klimafreundliche Energie und macht den Jangtse schiffbar – aber sie steht auch für massive Umweltauswirkungen, soziale Härten und einen Eingriff in das empfindliche Gleichgewicht unseres Planeten, dessen Folgen noch lange nicht vollständig absehbar sind.