Schiefer – das blaue Gold

Ein Artikel von REISEN Magazin/Gerald Stiptschitsch | 24.08.2020 - 09:48
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Die Region war jahrhundertelang geprägt von Land- und Forstwirtschaft sowie dem Bergbau © Gerald Stiptschitsch

Die Situation ist höchst angespannt. Seit Jahrzehnten wird Alaunschiefer im Strebabbauverfahren gewonnen. Dabei entstehen große Hohlräume, die mit Holzstreben abgestützt werden. Der Bedarf an Holz ist gewaltig und wegen steigender Preise wird Holz gespart, wodurch ständig Einsturzgefahr herrscht. Erst auf Anregung des deutschen Naturforschers Alexander v. Humboldt, der im Juli 1792 die „Morassina“ bei Schmiedefeld besuchte, wird das Kammerabbauverfahren eingeführt, bei dem zwischen den Abbaukammern ausreichend starke Pfeiler aus natürlichem Gestein stehen blieben.

Stimmungsvolle Landschaftsbilder im Thüringer Schiefergebirge

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Der Ort Lichte steht stellvertretend für viele Orte des Schiefergebirges, deren Dächer mit dem blauen Gold eingedeckt wurden © Gerald Stiptschitsch

Alaun ist nur einer der Rohstoffe, die im Thüringer Schiefergebirge gewonnen wurden. Es dient als Flammschutzmittel für Holz, wird in der Färberei zum Beizen von Stoffen, in der Papierindustrie zum Leimen von Papier sowie in der Gerberei zum Gerben von Leder verwendet. In der Medizin und in Rasiersteinen wird Alaun als Adstringens zum Blutstillen eingesetzt. 
Die Region war jahrhundertelang geprägt von Land- und Forstwirtschaft, dem Bergbau, der Glas- und Porzellanfabrikation und der metallverarbeitenden Industrie, die in dem wasser- und holzreichen Landstrich ideale Bedingungen vorfand. Am häufigsten wurde dort das „Blaue Gold“ abgebaut – der Schiefer selbst, der vor 330 Millionen Jahren entstand. Bereits im 16. Jh. stieg der Bedarf an Griffeln und Tafeln im Zuge der Reformation stetig an, da das „einfache Volk“ durch die billigen Erzeugnisse Lesen und Schreiben lernen konnte. In der wechselvollen 400-jährigen Geschichte der Griffelindustrie wurden immerhin 30 Milliarden Stück Tafeln und Griffel gefertigt und weltweit exportiert. Ganze Familien waren von den Kindern bis zu den Ältesten in Heimarbeit damit beschäftigt, pro Woche über 10.000 der kleinen Stäbchen zu schaben.
Der Aufschwung des Schieferbergbaues wurde in der ersten Hälfte des 19. Jh. durch das Verbot von brennbaren Bedachungsmaterialien wie Stroh und Holz begünstigt. Für die Dach- und Fassadenabdeckung zeichnet sich das Sedimentgestein durch seine unvergleichliche Farbbeständigkeit, die ausgezeichnete Witterungsbeständigkeit sowie die guten Verarbeitungseigenschaften aus.

Historische Schieferbrüche – eine vergangene Ära

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Zahlreiche stillgelegte Ein- und Aus­gänge zu den Bergwerken zeugen heute noch von der ­einst regen Tätigkeit © Gerald Stiptschitsch

Die Konzentration von historischen Schieferbrüchen zeugt vom einst florierenden, weltweiten Absatz des Rohstoffs – egal ob als Tafeln aus Ludwigsstadt, die dazugehörigen Griffel aus Steinach oder die Dachdeckerkunst, wie sie in Lehesten gelehrt wird. Die beschaulichen Orte bieten durch ihre kunstvollen Häuser mit den schwarzblauen Dächern und Fassaden einen ganz besonderen Reiz. Das Thüringer Schiefergebirge geht dabei nahtlos in das Fränkische Schiefergebirge über.
Durch beide führt die Schieferstraße, vorbei an Schieferfassaden, alten Produktionsstätten und ehemaligen Steinbrüchen, die an die einst große Bedeutung des „Blauen Goldes“ erinnern. Die riesigen blauschwarzen Abraumhalden ehemaliger Schieferbrüche prägen das Landschaftsbild heute noch nachhaltig. 
Fünf Museen entlang der Schieferstraße laden zu einer Reise zurück in die vergangene Zeit ein. Neben dem Schiefermuseum in Ludwigsstadt lohnt auch ein Besuch im Schaubergwerk „Morassina“ in Schmiedefeld, im noch betriebenen Bergwerk „Lotharheil“ in Dürrenwaid/Oberfranken, im Schiefermuseum in Steinach und im Thüringer Schieferpark Lehesten mit dem „Technischen Denkmal“. Letzterer war einer der größten Schiefertagebaue Europas. Der erste Abbau begann im 13. Jh. und dauerte bis Ende der 1990er-Jahre an. Die Blütezeit lag zwischen 1870 und 1900 mit 2.500 Beschäftigten. Nach Auflassung des Dachschieferabbaues und dem damit verbundenen Grundwasseranstieg in der Abbaugrube wurde das Gebiet der Natur überlassen und ist heute als weitläufiges Freilichtmuseum zu besichtigen. 

Auf dem Schieferpfad

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Berghohe Schieferhalden, ­bewachsen mit Moosen, Birken, ­Kiefern und Fichten, verleihen der ­Region einen reizvollen Charakter © Gerald Stiptschitsch

Wer anstelle der Schieferstraße lieber zu Fuß die Geschichte des Abbaues erleben möchte, hat die Möglichkeit, dies am 60 km langen Schieferpfad zu tun. Der Lehrpfad beginnt am Marktplatz in Probstzella und führt über Lehesten bis nach Ludwigsstadt, Gräfenthal und zurück. Über den Schieferbergbau von einst und heute informieren 32 Schautafeln, wobei auch die geschichtlichen Hintergründe dieser Ortschaften und die ehemalige innerdeutsche Grenze aufgearbeitet werden.
Wem die Strecke zu lang ist, zieht besser den Rundweg um Probstzella und damit einen gemütlichen, zweistündigen Spaziergang vor und erfährt dabei einiges über den Schieferbergbau.

Höhenwanderweg am Rennsteig

Abseits von Weimar und Erfurt können Sie im Süden Thüringens beim Wandern am Rennsteig und am Grünen Band – der ehemaligen Grenzregion – die Landschaft in Höhenlagen bis über 800 m genießen. Es scheint trotzdem, als ob die Region in einen Dornröschenschlaf verfallen ist. Einstige von Tourismusverbänden liebevoll angelegte Themenwege verfallen, Schautafeln sowie Infokästen verwittern und werden von der Natur zurückerobert.
Der Schieferabbau ist zum Erliegen gekommen, ebenso die Porzellanerzeugung und der Bahnverkehr. Einzig Glas und der damit verbundene Christbaumschmuck stellt noch einen kleinen Wirtschaftszweig dar. Junge Leute zieht es in die großen Städte, in manchen Ortschaften geht abends das Licht aus, weil kein Geld vorhanden ist. Einziger Höhepunkt, der noch Touristen in die abgelegene Schieferregion zieht, ist der Rennsteig – ein Höhenwanderweg, der sich von Eisenach bis nach Blankenstein schlängelt. Vielleicht übt dieser Teil Thüringens aber auf die Touristen gerade den besonderen Reiz aus. Letzlich wäre es aber nicht das erste Mal, dass eine Region nahezu in Vergessenheit gerät, sich damit ihre Eigenständigkeit und ihr besonderes Flair bewahrt und schließlich wiederentdeckt und wachgeküsst wird.