Eine Liebeserklärung

Ein Artikel von REISEN Magazin/Gerald Stiptschitsch | 16.03.2021 - 12:14
Seiseralm_IMG_8008.jpg

Idyllische Seiser Alm © Gerald Stiptschitsch

Am Horizont tauchen in weiter Ferne markante Gebirgszüge auf. Der Blick schweift über endlos scheinende, saftig grüne Wiesen und man hört nur das leise Rauschen des Windes und das Summen von Bienen. Wir befinden uns auf der Seiser Alm, wo man noch so richtig die Seele baumeln lassen kann und wo sich zahlreiche Wanderwege auf Euro­pas höchstem und größtem Hochplateau erschließen.

Dolomiten: Urzeitliches Korallenriff

Seiser Alm IMG_7998.jpg

Die Seiser Alm gemütlich erkunden! Der gemächliche Rhythmus der Hufe und das Schellen der Glöckchen am Zaumzeug der Haflinger-Pferde ist ein besonderes Erlebnis © Gerald Stiptschitsch

Wer sich in Südtirol dem Wandern widmen will, hat hier auf einer Höhe von 1.680 bis 2.350 m und einer Fläche von 57 km2 die Wahl zwischen gemütlichen Wanderungen, Tages- und Mehrtagestouren. Wahrscheinlich wirkt die Seiser Alm deswegen so beeindruckend,  weil sie im Herzen der Dolomiten liegt, wo Schlern, Lang- und Plattkofel das Panorama prägen. Die Bergwelt wird hier als bedeutendes „Naturkino“ beschrieben – kein Wunder also, dass die Dolomiten als urzeitliches Korallenriff zum UNESCO Weltnaturerbe zählt. Das Gestein besteht übrigens aus einem Kalzium-Magnesium-Karbonat, das vom französischen Geologen Deodat de Dolomieu (1750-1801) erstmalig wissenschaftlich bestimmt wurde. Ihm zu Ehren erhielten die Berge später den Namen „Dolomiten“. 

Der Schlern – Hexenberg par excellence

Seiser Alm IMG_8248.jpg

Die Hexenbänke sind Steinformationen in Form von Sesseln mit steinernen Arm- und Rücken­lehnen etwas oberhalb von Puflatsch © Gerald Stiptschitsch

Die Seiser Alm (italienisch: Alpe di Siusi; ladinisch: Mont Sëuc) gilt als markantestes Landschaftswunder. Der westliche Teil bildet mit der Schlerngruppe und dem Rosengarten den Naturpark Schlern-Rosengarten. Der Schlern grenzt die Seiser Alm nach Südwesten hin ab und zählt – gemeinsam mit den Hexenbänken auf dem Puflatsch – zu den Kultplätzen.
Um beide ranken sich Sagen der berühmten Schlernhexen. Nach Südosten schließt sich das markante Bergmassiv der Langkofelgruppe an und nördlich wird die Seiser Alm von Gröden begrenzt. Das Hochplateau und die umliegenden Dörfer sind voll von mythologischen und sagenumwobenen Wesen, deren Dasein eng mit der Natur und der Bergwelt verbunden ist. Dort geistern unzählige gutmütige, aber auch bösartige Kreaturen umher. Dazu zählen die Kräuterfrauen (Bregostans), die den Kranken Farbe auf deren Wangen zaubern. Oder die Saligen, selige Weiblein, die von König Laurin in Blumen verzaubert worden sind, die schön blühen, im Herbst aber graue Zottelhaare bekommen. Aber auch  Zwerge, Riesen und „Wilde Leut“ reihen sich in den Erzählungen ein. Über alle dominieren die Hexen, die es auf dem Schlern, dem Hexenberg par excellence, wild treiben und im Land allerlei Schäden anrichten. Die alten Leut‘ erinnern sich noch gut an die schlimme Geschichte vom Hansel und dem Gewitter, als er die Kugeln seines Gewehres mit Weihwasser besprengte und eine Hexe damit niederschoss. Der Anblick der Hexe war so grauenvoll, dass der Bauer sich erst nach vielen Jahren wieder ganz von seinem Schrecken erholt hatte.

Wie geht's auf die Seiser Alm?

Seiser Alm STD_7910.jpg

Von der Bergstation der Umlaufbahn Seiser Alm – St. Ulrich bietet sich ein wunderschöner Blick auf große Teile des Hochplateaus © Gerald Stiptschitsch

Erkunden lässt sich die weitläufige Alm im Sommer am besten zu Fuß und im Winter auf den Skiern. Zahlreiche Wanderwege führen über grüne Weiden, und die reiche Flora steht von Mitte Juni bis Mitte Juli in voller Blüte. Viele selten gewordene Arten laden dann ein, um entdeckt zu werden. Im Winter können die Hänge der Seiser Alm zum Skifahren, Snowboarden und Rodeln mit über 60 km Abfahrtspisten genutzt werden. Zahlreiche Liftanlagen, ein Funpark sowie ein 50 km langes Loipennetz stehen zur Verfügung.
Zu „erklimmen“ ist die luftige Höhe auf unterschiedliche Weise. Wer motorisiert nach oben will, wählt am besten die Ortschaft Seis als Ausgangspunkt. Von hier ist der Zugang mit regelmäßig verkehrenden Bussen möglich. Saisonweise werden auch Linienbusse von Monte Pana nach Saltria eingesetzt. Mit privaten Fahrzeugen ist eine Zufahrt zur Seiser Alm nur in den Abend- und Nachtstunden gestattet. Von Seis aus führt auch eine moderne Umlauf-Gondelbahn hinauf. Eine weitere verkehrt von St. Ulrich in Gröden, die eindrucksvoll die steilen Flanken überwindet. Natürlich führen auch zahlreiche Wanderwege hinauf auf das Hochplateau, wobei Sie für den teils steilen Aufstieg 4 bis 6 Stunden einrechnen sollten.

Jäger aus der Urzeit

Über die Vorzeit im Dolomitengebiet ist bisher nur wenig bekannt. Einige Funde bekunden eine frühe Besiedlung dieser Landstriche. Aufsehen erregte jedoch ein Fund in Gröden. Dort wurden bei Ausgrabungsarbeiten Gegenstände gefunden, die etwa 8.000 Jahre alt sind. Die Pfeilspitzen, Nadeln und übrigen Geräten sind die ältesten prähistorischen Funde im gesamten Dolomitengebiet. Waren es Jäger, die auf ihren Streifzügen unterhalb des Grödner Joches eine provisorische Unterkunft suchten? Wahrscheinlich, denn an eine fixe Besiedlung war in den Wintermonaten hier wohl nicht zu denken. Die zweitältesten Funde stammen aus St. Ulrich: bronzene Fibeln, Schmuckstücke, eiserne Äxte, gallische Langschwerte und primitive Bauerngeräte. Datiert auf 400 v. Chr. Die erste urkundliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 999.
Heute wird das Gebiet um die Dolomiten großteils von den Ladinern bevölkert, die rätischen Ursprungs sind und vermutlich während der Zeit der Völkerwanderung hierher zurückgedrängt wurden. Sie sprechen immer noch eine eigene romanische Sprache, das Ladinische, das mit einigen Abweichungen in Gröden, im Gader- und Fassa-Tal sowie in Buchenstein und im Ampezzano gesprochen wird. Kein Wunder, dass sich dieses Volk heute noch so eng mit der Landschaft und den Traditionen verbunden fühlt.
Die schönen Wälder, weiten Almen und Weiden mit prächtigen Blumenteppichen sowie mächtige Bergstöcke und Felstürme bieten ein abwechslungsreiches und vielfältiges Landschaftsbild, das immer mehr Touristen zu schätzen wissen. Lange und kurze, leichte und schwierige Spaziergänge bzw. Wanderungen im Tal oder hoch oben im Gebirge – in Gröden gibt es diese in reicher Menge. Hinzu kommen eine Reihe gesicherter Klettersteige und Klettertouren in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden.

Klassiker Hirtenwanderweg

groeden_shutterstock_96957371.jpg

Wolkenstein liegt am Talschluss von Gröden. Hier befindet sich auch am Eingang des Lan­gentals in der Felswand die Burgruine Wolkenstein, die dem Ort ihren Namen verlieh © Gerald Stiptschitsch

Der Ausgangspunkt, die Hochebene von Monte Pana (1.636 m), ist von St. Christina in Gröden erreichbar. Ab hier gelangt man über den Weg Nr. 30 Richtung Cunfin Böden. Etwa eine Stunde später zweigt links der Weg Nr. 531 ab, der bis zum Fuße des Plattkofels hinaufführt. Über den kurzen Abschnitt 9A geht’s zur 2.133 m hoch gelegenen Murmeltierhütte (Gehzeit ca. 2 h), von wo es über den Weg Nr. 527 nicht mehr weit bis zur 2.300 m hoch gelegenen Plattkofelhütte (dem höchsten Punkt der Rundwanderung (Gehzeit etwa 20 Minuten) ist. 
Die Markierung Nr. 9 leitet in 50 Minuten hinunter zum Berghaus Zallinger (2.054 m). Ganz in der Nähe (Gehzeit 15 min.), am Rande des Saltria Waldes, liegt die Williamshütte (2.100 m), mit Aussicht auf das Bergpanorama. Anschließend führt der Steig 7A hinunter nach Saltria mit einer Einkehrmög­lichkeit (Gehzeit ca. 50 min.), den Saltner Schwaigen (1.740 m). Über die weitläufigen Weiden „Große und Kleine Prise“ erreicht man an unzähligen Weidetieren vorbei über Cunfin Böden und den Ochsenwald wieder Monte Pana (Gehzeit ca. 1,5 h).