Lavendelblüte in der Provence

Ein Artikel von REISEN-Magazin/Gerda Walton | 25.03.2021 - 08:09
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Das Kloster „Abbaye de Senanque“ wurde 1148 gegründet. Bemerkenswert ist die für Zisterzienser typische asketische Strenge © Gerda Walton

Im Frühling verzaubert die Obstbaumblüte die nicht selten archaisch wirkende Landschaft, die durch endlos scheinende Reihen silbrig schimmernder Ölbäume, steinige Weinberge und mit verheißungsvollen graugrünen Lavendel-Kugeln exakt bepflanzte Felder geprägt wird. Im Herbst, wenn der Zauber der Lavendelblüte Vergangenheit ist, malt der sich verfärbende Wein knallig Farbtupfer in das sanfte Grün der kargen Vegetation der Garrigue, immer wieder unterbrochen vom starken Kontrast schlanker, dunkelgrüner Zypressen. Dazwischen eingebettet liegen bezaubernde kleine Dörfer, deren Architektur in ihrer steinernen Strenge sichtlich bemüht ist, dem oft genug zornig blasenden Mistral möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Wer aber ein einzigartiges Naturschauspiel erleben möchte, der muss die Provence in der Hitze des Hochsommers bereisen, wenn sich die weiten Felder des Plateaus de Vaucluse, der Hochprovence, des Luberon und des Plateaus von Valensole im Blauviolett der Lavendelblüte präsentieren. Dann wird die Reise durch das nicht selten bis an den Horizont reichende Meer des in langen Reihen angepflanzten Lavendels zur Farbtherapie.

Durch das Tor zur Provence

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Die Gegend um die Festung von Les Baux war einstmals Meeresboden © Gerda Walton

Bis man das Land des Lavendels erreicht, ist eine lange Wegstrecke hinter sich zu bringen. Eine günstige Route führt durch die Schweiz, entlang des Genfer Sees und Grenoble, wobei sich die hübsche Stadt Annecy als angenehmer Übernachtungsort anbietet. Dann ist es nicht mehr allzu weit bis Sisteron, dem als „Tor zur Provence“ bezeichneten kleinen Städtchen. Will man das relativ hoch gelegene Lavendelgebiet des Vaucluse besuchen, muss man sich hier entscheiden, ob man die schmale und kurvenreiche, durch eine Schlucht führende „Route des Fruits et Vins“ wählt, die einen auf das weitläufige Plateau nach Sault bringt. Einfacher zu befahren ist die Strecke über Apt, da von hier aus eine für militärische Zwecke gut ausgebaute Straße durch ein landschaftlich wunderschön gelegenes Lavendelanbaugebiet führt. Auf dem Plateau gibt es viele kleine Chateaus, die Übernachtungsmöglichkeiten inmitten von Lavendelfeldern anbieten.

Von Abgeschiedenheit zum Tourismus

Im Umkreis von Apt befinden sich gleich einige Muss-Ziele der Provence, das Felsennest Gordes, das als „Ocker-Dorf“ berühmt gewordene Roussillon oder die einzigartige Abbaye de Senanque. Für den Besuch des inmitten von Lavendelfeldern gelegenen romanischen Zisterzienser-Klosters aus dem frühen 12. Jh. lohnt es sich, früh aufzustehen, da die uralten Steinmauern am Morgen im idealen Fotolicht liegen. Durch ihre gewollte Schmucklosigkeit und Strenge verkörpert sie eindrucksvoll die asketische Ordensregel von Bernhard von Clairvaux, auch wenn von völliger Abgeschiedenheit von der Welt und Armut angesichts der Besuchermassen, die v. a. zur Blütezeit des Lavendels das kleine Tal von Senanque geradezu stürmen, keine Rede mehr sein kann. Während der Mittagsstunden und zu den Gebetszeiten der Mönche ist die Abtei für Besucher geschlossen. Nach dem Besuch fährt man zum Mittagessen am besten ins nahe Gordes, wo man ganz auf Tagestouristen eingerichtet ist, ohne damit dem Charakter des auf einem steilen Hügel liegenden Örtchens allzu sehr zu schaden. 

Eindrucksvolle Ocker-Steinbrüche

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Ockermuseum bei Roussillon © Gerda Walton

Den Besuch von Roussillon wiederum verlegt man am besten in die Nachmittagsstunden, weil dann das unerschöpfliche Farbspektrum der gewaltigen Ocker-Steinbrüche durch die im idealen Winkel einfallende Sonne in ein gigantisches Schauspiel aus Farben und Formen explodiert. Nehmen Sie sich Zeit, um durch den „Sentier des Ocres“ zu gehen, den Spazierweg durch die einstigen Ockerbrüche. Der Kontrast zwischen dem viel blauer scheinenden Himmel, den tiefgrünen Pinien und den unzähligen Schattierungen des Ockers ist unbeschreiblich. Für die Begehung des Ockersteinbruches wäre altes, aber rutschfestes Schuhwerk praktisch, da es nach der Besichtigung, wie so vieles in Roussillon, leicht ockerfarben aussehen wird, was aber leicht wieder abwaschbar ist.
Die von einer riesigen Mauer umgebene Altstadt von Avignon mit dem berühmten Papstpalast darf man auf einer Provence-Reise nicht auslassen. Einen großen Parkplatz gibt es an der Rhone in Sichtweite der legendären Brücke. Für den Besuch von Avignon sollte man einen vollen Tag einplanen und selbst dann wird man nicht alles gesehen haben, was diese Stadt zu bieten hat, da alleine der Besuch des riesigen Papstpalastes viel Zeit in Anspruch nimmt. Am späten Nachmittag geht sich aber vielleicht noch ein Abstecher zum berühmten römischen Aquädukt Pont du Gare aus, bei dessen Besichtigung man seinen bis dahin vermutlich ziemlich müden Füßen ein kühlendes Bad im Flüsschen Gard gönnen kann.
Nimes, Carpentras, Aix oder Orange wären natürlich ebenfalls einen Besuch wert, während Marseille eher als Kontrapunkt einer Reise in die Provence angesehen werden kann.
Zu den absoluten Muss-Zielen zählt Arles, wo sich die florierende Tourismusindustrie ganz auf die Erinnerung an van Gogh stützt und tunlichst verschweigt, dass ihn die Bürger der Stadt seinerzeit ob seiner Exzentrik aus der Stadt verbannt haben. Vom Parkplatz nahe der Schiffsanlegestelle aus ist man in wenigen Minuten in der auf einem Kalkfelsen erbauten Altstadt mit ihren vielen, an die Römerzeit erinnernden prachtvollen Bauwerken. Als erstes Fotomotiv bietet sich die imposante, kreisrunde Arena an. Nicht mehr so gut erhalten, trotzdem aber überaus beeindruckend ist das antike Theater, das angesichts seiner Dimension die einstige Bedeutung von Arles erkennen lässt. Ein Höhepunkt ist die zum Weltkulturerbe zählende romanische Kathedrale St. Trophime. Den Eingang zum einzigartig schönen Kreuzgang rechts von der Kathedrale sollte man nicht übersehen, der Besuch lohnt sich.
Die hübsche kleine Stadt St. Remy hat übrigens weit mehr zu bieten, als nur das Kloster St. Paul-de-Mausole, dessen Irrenanstalt durch den Aufenthalt des Künstlers berühmt wurde.  Obwohl der Besuch etwas mühsam ist, darf man einen Abstecher nach Les Baux, die legendäre, bis auf das 10. Jh. zurückgehende gewaltige Festung, keinesfalls auslassen, deren faszinierende Überreste sich an den senkrecht aufragenden Felsen förmlich festzukrallen scheinen. Auch wenn die vielen Souvenirhändler und Lokale entlang der schmalen Straße, die in das Felsennest hinaufführt, Verlockendes anbieten, allein schon die prachtvolle Aussicht lohnt die Mühe des Durchhaltens. Der Faszination und eindrucksvollen Größe dieses exzentrischen Bauwerkes werden die meisten Besucher auf Anhieb verfallen, auch wenn nur wenige die höchsten Bereiche der einstigen gewaltigen Festung erklimmen werden, da man dafür schwindelfrei sein muss. 

Träumen vom Lavendelmeer

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Das Café de la Nuit in Arles lehnt sich optisch an das Gemälde ­„Caféterrasse am Abend“ von Vincent van Gogh an © Gerda Walton

Auf der unvermeidlichen Rückreise kann man noch einmal so richtig in duftenden Lavendel eintauchen. Zuerst bei der Überquerung des intensiv dem Lavendelanbau dienenden Plateaus von Valensole, von dem aus man durch die legendäre Schlucht von Verdon – mit viel Geduld – in die Parfümstadt Grasse gelangt. Im Hochsommer sind die unzähligen engen Kurven und die Parkplätze an Aussichtspunkten nämlich durch Wohnmobile aus aller Herren Länder ziemlich verstopft. Am besten hält man sich, während man im Stau wartet, dann eines der vielen als Mitbringsel erworbenen Lavendelsouvenirs unter die Nase und träumt ein bisschen vom unvergesslichen, bis an den Horizont reichenden, blauen Lavendelmeer.