Valencia: die Hauptstadt der Orangenblüte

Ein Artikel von Daniel Izquierdo Hänni | 28.12.2021 - 12:15
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Orangen- und Mandarinenbäume prägen das Stadtbild von Valencia © Razvan Ionut Dragomirescu/Shutterstock

In Mittel- und Nordeuropa galten Orangen, Mandarinen und Zitronen lange als exotische Früchte. Bestes Beispiel hierfür ist die Orangerie im Schloss Schönbrunn, welche 1754 für die Überwinterung von sogenannten Pomeranzenpflanzen erbaut wurde. Und obwohl es mittlerweile Orangen und Mandarinen in allen Supermärkten zu kaufen gibt, vermitteln sie auch heute noch einen Hauch von Sonne und Süden. Über dreihundert Sonnentage im Jahr, milde Winter und heiße Sommer zeichnen auch die spanische Mittelmeermetropole Valencia aus. Die mit knapp 800.000 Einwohnern drittgrößte Stadt Spaniens lebte in Sachen Tourismus lange im Schatten des größeren Barcelona oder des populären Palma de Mallorca. Macht nichts, denn wer Spanien kennt, der weiß, dass es sich im Schatten besser leben lässt als an der prallen Sonne. Nicht umsonst unterscheidet man in den Stierkampfarenen zwei Sitzkategorien: Die günstigeren Sonnenplätze und jene im Schatten, die selbstverständlich teurer sind. „Sol“ und „sombra“, wie das Leben selbst.

Das Erbe der Mauren: Orangen und Reis

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Der maurische Einfluss ist in Valencia überall spürbar © Razvan Ionut Dragomirescu/Shutterstock

In vielen Kreisen ist Valencia jedoch als Hauptstadt der Orangen- und Mandarinenproduktion Europas bekannt. Rund um die Stadt breiten sich über hunderte Quadratkilometer an immer grünen Plantagen aus. Etwas über drei Millionen Tonnen Südfrüchte ernten die Bauern der Region, wobei ein großer Teil nach Europa exportiert wird – auch nach Österreich. Man muss nur einen Blick auf das Etikett werfen und liest mit großer Wahrscheinlichkeit an so mancher Stelle den Begriff der „Comunidad Valenciana“, des Bundeslandes Valencia sozusagen.
Zwischen den Jahren 711 und 1492 beherrschten die Mauren die spanische Halbinsel und prägten die Kultur nachhaltig. Man denke nur an all die Ortschaften, die den Begriff „beni“ im Namen tragen wie die Tourismushochburg Benidorm an der Costa Blanca. „Beni“ bedeutet „Sohn des…“. Die Mauren waren damals führend in Aspekten wie Astrologie, Medizin oder Wasserwirtschaft, und mit ihren Kenntnissen über Wasserräder und Bewässerungskanälen machten sie aus dem einst eher trockenen „Balansiya“, wie die Stadt auf Arabisch genannt wurde, eine grüne Oase. Mit sich brachten die Mauren aber auch zwei Pflanzen, die ihren Ursprung in China haben, und heute fest zu Valencia gehören: Die orangefarbene Zitrusfrucht  sowie den Reis. 
Gemäß der Stadtverwaltung zählt man genau 9.085 Orangen- und Mandarinenbäume als Zierpflanzen in den Straßen Valencias sowie weitere 2.144 in den Parkanlagen, in denen sich die Kinder nach Schulschluss um 17 Uhr austoben und die Alten zu einem Schwatz zusammenkommen. 
Das Besondere an diesen Bäumen ist, dass sie nie ihr Laub verlieren, sondern das ganze Jahr hindurch grün sind. Zwischen November und März reifen die Früchte in der Wintersonne, zwischen April und Mai ist Blütezeit. Dann versinkt die Stadt samt der ganzen Region im intensiven und süßlichen Duft der Orangenblüten. Kein Wunder also, dass der pittoreske Küstenabschnitt nördlich von Valencia „Costa del Azahar“ (Küste der Orangenblüten) genannt wird. 

Stadt der Wissenschaft

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Die Stadt der Künste und Wissenschaften besteht aus sieben Gebäuden. Darunter ein Museum, ein Aquarium und ein riesiges 3D-Kino © STORM INSIDE PHOTOGRAPHY/Shutterstock

Die Paella ist überall auf der Welt als spanisches Nationalgericht bekannt, wobei nur wenige wissen, dass dieses Reisgericht eigentlich aus Valencia stammt. Aus China haben die Mauren nicht nur, wie bereits erwähnt, die Apfelsine respektive Pomeranze (Bitterorange) mitgebracht, sondern eben auch den Reis. Am südlichen Stadtrand von Valencia erstreckt sich das Naturschutzgebiet der „Albufera“, dessen Herz eine knapp 24 m2 große Süßwasserlagune ist. Seit dem achten Jahrhundert wird hier Reis angebaut, und auch heute noch sieht man trotz schweren Traktoren immer wieder die Reisbauern knöcheltief in ihren überfluteten Feldern umherwaten und den Zustand der Ären begutachten. Wasser war – und ist auch weiterhin – in südlichen Ländern ein knappes Gut, denn das flüssige Nass bedeutet Gedeihen und Leben sowie, wenn im Überfluss vorhanden, auch Reichtum. Dass dies im heutigen, modernen Valencia auch weiterhin tief im Bewusstsein der Menschen verankert ist, kann man an zwei Beispielen gut erkennen. So versammelt sich etwa jeden Donnerstag um 11 Uhr unter dem Aposteltor der Kathedrale das sogenannte Wassergericht von Valencia. Mag sein, dass es sich heute nur noch um ein Spektakel für die Touristen handelt, doch bereits vor tausend Jahren wurden hier Zwistigkeiten rund um das Thema Wasser von einem „Rat der Weisen“ verhandelt und geschlichtet. Und auch heute noch sind die Entscheidungen des „Tribunal de las Aguas“ unanfechtbar, sogar das Bundesgericht in Madrid akzeptiert das Urteil der acht Laienrichter aus Valencia.
Wasserspiele, Brunnen und Kanäle haben in der maurischen Architektur immer eine wichtige Rolle gespielt. Und auch in der heutigen Zeit ist Wasser ein Symbol für Reichtum, so wie es etwa im modernen Architekturkomplex der „Stadt der Künste und Wissenschaft“ eindrücklich vor Augen geführt wird. Rund um die Monumentalbauten des valencianischen Stararchitekten Santiago Calatrava dehnen sich weitläufige Wasserbecken aus, die zum Verweilen einladen.

Stadtspaziergang

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Der Stil der Markthalle ist dem Frühjugendstil zuzuordnen. Wer genauer hinblickt, findet überall am Gebäude spannende Details © RossHelen/Shutterstock

Dank der Landwirtschaft wurde Valencia einst zu einer reichen Stadt, eindrückliche Bauten und ganze Straßenzüge aus der Zeit zwischen 1900 und 1920 bilden ein lebendiges Erbe dieses Wohlstandes. Die Architekten von damals setzten nicht nur auf den „Modernismo“, der spanischen Interpretation des Jugendstils, sondern sie huldigten den Orangen als Devisenbringer und setzen diese immer wieder als Dekorationselement ein. Ein wunderbares Beispiel hierfür ist die „Estación del Norte“, welche 1917 mitten im Jugendstil-Bauboom entstanden und deren Fassade mit Orangen-Motiven dekoriert ist. Die Schalterhalle des Nordbahnhofes gehört heute zu den Must-See eines Stadtspazierganges. Ein wahrliches Fest der Sinne ist die zur gleichen Zeit entstandene zentrale Markthalle der Stadt, wobei einem im „Mercado Central“ die Vielfalt der valencianischen Landwirtschaft erst wirklich bewusst wird. Und auch hier dürfen, blickt man etwa zur hohen Kuppel in der Mitte der Markthalle hoch, die Orangen als Dekorationselemente nicht fehlen. Ein wunderbares Mosaik mit Szenerien aus der Landwirtschaft (in welcher selbstverständlich ebenfalls Orangen vorkommen) ziert die Hauptfasse des „Mercado Colón“. Mitten im Jugendstilviertel von Valencia gelegen ist die Kolumbusmarkthalle aus dem Jahr 1916 zu einem der trendigen Treffpunkte der Stadt geworden, befinden sich doch heute unter deren hoher Stahlstruktur eine Vielzahl an Straßencafés. Ein idealer Ort, um sich ein kühles „Agua de Valencia“ zu bestellen, eine Art Cocktail bestehend aus spanischem Cava und – wie wird es wohl anders sein – Orangensaft.

Buchtipp

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Daniel Izquierdo Hänni, DuMont Reise,
120 S., €  12,99
Verlag, 224 S., € 49,40
ISBN 978-3-7701-8432-3