Drei Haselnüsse für Aschenbrödel

Ein Artikel von REISEN Magazin/Gerald Stiptschitsch | 10.12.2021 - 10:23
shutterstock_747086734.jpg

Schloss Moritzburg: Hier wurde der Film Aschenbrödel gedreht © Andrew Mayovskyy/Shutterstock

Da steht sie: Schloss Moritzburg bei Dresden, um das sich eines der bekanntesten Märchen dreht, die Jung und Alt gleichermaßen und immer wieder aufs Neue begeistert. Romantischer kann ein Märchen fast nicht mehr sein. Doch wie lief es wirklich hinter der Kamera und was sind die Geheimnisse der drei erfolgreichsten Haselnüsse, die es bisher in der Filmgeschichte gegeben hat? 

Ein Frühlingsmärchen im Winter

shutterstock_95078923.jpg

Für den Schnee musste zuerst stinkender Kunstschnee verwendet werden © LianeM/Shutterstock

Bereits seit Jahrzehnten reiten die beiden Hauptdarsteller durch die verschneite Winterlandschaft Tschechiens. Ein Film, in dem Verlieben und Romantik Hand in Hand gehen, müsste doch eigentlich im Frühling spielen? Da ist der Winter denkbar ungeeignet. Und tatsächlich, denn dieser Logik folgend, sollte der Film auch ursprünglich gar nicht im Winter gedreht werden.
Für die Handlungen wurden zwar mehrere Schauplätze gewählt, ein Großteil der Szenen musste aber in den Filmstudios in Prag gedreht werden. Doch da war ein Frühlingstermin unmöglich. Zudem stand im Winter gerade ausreichend Personal zur Verfügung, sodass man den Zeitpunkt schließlich auf den Dezember vorverlegte. Das Drehbuch musste umgeschrieben werden, blühende Wiesen und singende Vögel wichen dick verschneiten böhmischen Wäldern – und Aschenbrödel ritt statt über grüne Weiden durch die Schneelandschaft. Zu diesem Zeitpunkt der Dreharbeiten konnte man von angenehmen Frühlingstemperaturen auch nur träumen, denn mit –19 °C war es klirrend kalt, was für die Schauspieler in den dünnen Strumpfhosen keine angenehme Situation war.
An einen Erfolg glaubte von Anfang an keiner mehr, denn selbst die Auswahl der Hauptdarsteller war mühsam. Václav Vorlíček, der Regisseur, musste über 2.000 junge Frauen casten und war allmählich am Verzweifeln, denn selbst darunter war nicht die Richtige, die er sich für den Film vorstellte. Seine Favoritin war schließlich Jana Preissová, die wenige Jahre zuvor eine Prinzessin gespielt hatte. Allerdings musste sie schließlich wegen ihrer Schwangerschaft ausgewechselt werden – gegen ein junges Mädchen, das Vorlíček bereits kannte und insgeheim von Anfang an als Wunschkandidatin hatte. Sie wurde gerade mit der Schauspielschule fertig und war ideal für die Besetzung: die 19-jährige Libuše Šafránková. Beim Prinzen war es wesentlich einfacher und rasch fiel die Entscheidung auf den 22-jährigen Pavel Trávníček, der gerade sein Schauspieldiplom abgeschlossen hatte. Auch Schloss Moritzburg würde letztlich nach langen Überlegungen aus über 20 Vorschlägen von ihm als Drehort ausgewählt. 

Tricks gegen Regierung und Witterung

Eine weitere Schwierigkeit gab es von Anfang an, die das ganze Drehbuch überschattete: Das Märchen, das verfilmt werden sollte, stammt ursprünglich von František Pavlíček – ein politisch Oppositioneller, der nach 1968 („Prager Frühling“) auf der schwarzen Liste des Regims stand. Er hatte öffentlich gegen die Sowjets protestiert, verlor seinen Posten als Theaterintendant, wurde mit einem Berufsverbot belegt und hatte plötzlich keine Einkünfte mehr. Er ging seiner Leidenschaft als Schriftsteller nach und schrieb das Aschenbrödel, musste jedoch die Prager Behörde austricksen, damit sich sein Märchen zum Erfolg entwickeln konnte. Er gab als Autorin die Dramaturgin Bohumila Zelenková an, die in seine Rolle schlüpfte, die Honorare entgegen nahm und an Pavlíček weiter gab – und bis heute noch im Film im Vorspann genannt wird.

Kunstschnee mit Fischmehl

shutterstock_1353484757.jpg

Der See vor dem Schloss friert im Winter zu © scimmery/Shutterstock

Die böhmischen Wälder waren zur Zeit der Dreharbeiten im Winter 1972/1973 romantisch mit dickem Schnee bedeckt und ideal als Filmkulisse. Doch ausgerechnet beim Schloss Moritzburg, wo ein Großteil der Außenaufnahmen stattfinden sollte, blieb der Schnee aus und alles war kahl und braun. Auch in den nächsten Tagen war keine Spur von Schnee zu erwarten. Wie also die winterliche Stimmung schaffen? Unzählige Waggons mit Kunstschnee aus chemischen Mitteln, vermischt mit Fischmehl, mussten angeliefert werden. Selbst die Bäume wurden teilweise mit Schnee beklebt.  Nur für die Dächer der Moritzburg reichte es nicht mehr. Alles roch penetrant und der vermeintliche Schnee ließ sich anschließend auch nur mehr schlecht entfernen.
Hinzu kam, dass der See vor dem Schloss zwar zugefroren war, die Eisoberfläche allerdings komplett schwarz wirkte. In einer buchstäblichen Nacht-und-Nebel-Aktion packten einige Leute ihre Eislaufschuhe aus und begannen, auf dem Eis ihre Runden zu drehen, um es damit aufzukratzen und die Oberfläche  weiß wie Schnee wirken zu lassen. Erst jetzt passten die Bilder aus Böhmen und Schloss Moritzburg harmonisch zusammen ... zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als es in Böhmen schon wieder zu viel schneite und die Schneemenge die Crew vor neue Probleme stellte. Es schneite und schneite und wollte gar nicht mehr aufhören. Der Schnee war bereits so hoch, dass das Aschenbrödel mit ihrem langen Rock bei der Szene im Wald kaum noch laufen konnte. Auch die Pferde, die über eine scheinbare Ebene reiten sollten, versanken im Schnee, weil es stellenweise Schneeverwehungen gab. Bei einer Reitszene war plötzlich das Pferd versunken und konnte nur noch mit einem Traktor aus dem Tiefschnee befreit werden.

Tschechisch oder Deutsch?

shutterstock_1618503013.jpg

Nachgestellte Szenen des Märchens im Schloss © MirkaP/Shutterstock

Sprachlich war es während der Dreharbeiten gar nicht so einfach, denn die Hälfte der Schauspieler sprach nur deutsch, die andere nur tschechisch. Jeder kannte lediglich seine Stichworte in der anderen Sprache, damit er wusste, wann sein Einsatz beginnt. Mit Händen und Füßen hat man sich hinter der Kamera unterhalten und lange Zeit später sprach man noch von der angenehmen Atmosphäre und dem freundlichen Umgang untereinander am Filmset. Zum Glück aber konnten sich die beiden Hauptdarsteller problemlos unterhalten – und trotzdem musste der Prinz sowohl in tschechisch als auch in deutsch synchronisiert werden. Pavel Trávníček hatte nämlich einen ausgeprägten mährischen Akzent, weshalb man ihn selbst in seiner Heimat zu Beginn für einen der deutschen Schauspieler hielt.

Auch das noch ...

Und dann trat während den Dreharbeiten in der damaligen Tschechoslowakei auch noch die Maul- und Klauenseuche aus. „Nikolaus“ das Pferd, benötigte einen Doppelgänger, weil er nicht mehr in die DDR einreisen durfte. Das deutsche Pferd war bereits ein erprobtest Filmpferd, das in mehreren Wild-West-Filmen mitspielte. Pferdekenner können bei genauem Hinsehen erkennen, welche Szenen wo gedreht wurden. 
Einen Vorteil bei den Pferden brachte aber Libuše Šafránková mit: Sie war eine ausgezeichnete Reiterin und konnte daher alle Reitszenen selbst reiten – bis auf eine Ausnahme: Bei der gefährlichen Stelle auf der Auffahrt zur Burg war es derart rutschig, dass ein Sturz das Aus des gesamten Films bedeutet hätte. Daher musste sie dieses eine Mal gedoubelt werden. 
Im Gegensatz dazu musste der Prinz, der nicht reiten konnte, bei diesen Szenen gedoubelt werden. 

Musik von Karel Gott

shutterstock_544262848.jpg

Aschenbrödels Schuh © Michal 11/Shutterstock

Die Musik ist ein entscheidender Erfolgsfaktor des Märchens, die – wie auch für die Zeichentrickserie Biene Maja – Karel Gott geschrieben hat. Im tschechischen Original von „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ singt er sogar mehrere Stücke, was den Redakteuren des WDR‘s jedoch nicht gefallen hat, sodass man sich entschied, die deutsche Fassung rein instrumental zu lassen – vielleicht weil der übersetzte Text „Wo, kleiner Vogel, ist dein Nest“ nicht so wirklich zu Aschenbrödel passte.
Wie auch immer. Trotz dieser vielen Schwierigkeiten und Probleme, die laufend auftraten und sämtliche Mitwirkende am Film zweifeln ließen, ob „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ jemals Erfolg haben wird – aber vielleicht sind es die ungewöhnlichen Lösungen und Entwicklungen, die diesen letztlich so unvergleichlich gemacht  und zum Erfolg geführt haben.