Die kalte Schulter einer warmherzigen Monarchin

Ein Artikel von REISEN-Magazin | 23.07.2020 - 10:36
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Maria Theresia – eine warmherzige Herrscherin? © Stefan Rotter/shutterstock

Historische Ereignisse sind alleine aufgrund ihrer zeitlichen Abfolge kaum miteinander vergleichbar. „Die Zeiten waren andere“ und „Früher war sowieso alles besser“. Beliebte Sätze, um in der heutigen Zeit vergangene Geschehnisse ein wenig zu relativieren oder auch zu beschönigen.
Eine Erzählung über eine Frau, die im zarten Alter von 23 Jahren bereits zum vierten Mal schwanger ist und alleine schon aus diesem Grund eine für ihr Alter außergewöhnlich hohe Verantwortung zu tragen hat, stimmt grob gesagt kaum mit einem modernen Lebenswandel überein. Viel ungewöhnlicher wäre es heute aber, eine derart junge Mutter an die Spitze einer Regierung zu setzen.
Eine solche, ungewöhnliche Geschichte existiert hingegen bereits. Geschrieben vor exakt 280 Jahren von einer der wohl beeindruckendsten Frauen, die dieses Land je erleben durfte. Eines lässt sich zweifelsfrei behaupten: Auch für die damalige Zeit war dies – zumindest was die Regentschaft betrifft – keinesfalls eine gewöhnliche Fügung der Dinge. Maria Theresia beeindruckte nicht nur neutrale Gesandte aus ganz Europa, sondern auch ihre größten Feinde. Die große, warmherzige Reformerin hatte stets das Fingerspitzengefühl, die richtigen Handlungen für das Wohl des Staates zu setzen – auch wenn das Wohl des Staates nicht immer das Wohl aller Menschen bedeutete.

Die Pragmatische Sanktion

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Das Wohl des Staates war ihr größtes Anliegen, das sie mit pragmatischem Ehrgeiz bis zu ihrem Tod zielstrebig verfolgte © Wikimedia Commons

Es dauerte Zeit und erforderte unzählige Verhandlungen, bis Maria Theresias Vater Karl VI., der zu Beginn des 18. Jh. letzte männliche Habsburger, mit der Pragmatischen Sanktion sein Erbfolge gesichert hatte. Grundlage dieses berühmten Vertrags ist der lang geheim gehaltene Hausvertrag „Pactum mutuae successionis“ aus dem Jahr 1703, welchem die Pragmatische Sanktion entsprungen ist. Dieser Vertrag sicherte die Habsburger Erbfolge, indem er neben einer möglichen, weiblichen Erbfolge den Gesamtstaat, der bis dato kaum als Ganzes anerkannt wurde, mit den berühmten Worten „Unteilbar und Untrennbar“ als Einheit festgeschrieben hat.
Zwar war mit einer weiblichen Erbfolge bloß der Hausbesitz und nicht auch die Kaiserkrone gemeint, trotzdem aber schützte die Pragmatische Sanktion die Habsburger vor der Ungewissheit ihres Nachfolgers. Es war für Karl VI. mit großen Mühen verbunden, diesen Vertrag von den betroffenen Ländern unterzeichnen zu lassen, zumal diese – wie sich in späterer Folge bewahrheitete – einem Vertrag bei Weitem nicht so viel Durchsetzungsvermögen wie einer starken Armee und vollen Staatskassen zuschrieben.
Des Weiteren musste er etliche Abstriche in Form von Landverlusten machen, um die Pragmatische Sanktion im Jahr 1713 tatsächlich feierlich in Kraft treten zu lassen. Da Maria Theresia erst vier Jahre später zur Welt kam, darf den Spekulationen, Karl VI. hätte den Vertrag ihretwegen so zielstrebig durchgesetzt, nicht allzu viel Aufmerksamkeit geschenkt werden. Fakt ist allerdings, dass  dieser Vertrag im Laufe der Regierungszeit von Karl VI., als sich ein Ausbleiben männlicher Erbfolgen abzeichnete, stetig an Bedeutung gewann.

Der Beginn des Weiberregiments

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Ehemann Franz Stephan von Lothringen blieb meist im Schatten von Maria Theresia © Wikimedia Commons

Der Weg für Maria Theresia schien geebnet: Die Pragmatische Sanktion sicherte ihr Erbe und mit dem Lothringer Herzog Franz Stephan hatte sie sich für einen Mann entschieden, der nicht nur ihre große Liebe war, sondern obendrein noch die einzig richtige Wahl für ein Gleichgewicht der Mächte in Europa darstellte.
Die ihr bevorstehenden Aufgaben waren dennoch mit einigen Unannehmlichkeiten bestückt. Sie fand leere Staatskassen vor und hatte zudem unzählige, sich in der Lauer befindende Machthaber im Nacken, die nur noch darauf warteten, Nutzen aus dem gehässig „Weiberregiment“ genannten, neuen Erbe zu schlagen. Allen voran ihr Erzfeind König Friedrich II. von Preußen, der ihr nicht einmal eine Gnadenzeit einräumte. Zu aller Ungunst musste sie zu dieser Zeit auch noch das eigene Volk auf ihre Seite bringen, welches ihr anfänglich nicht das nötige Vertrauen entgegen brachte. Wie sie in weiterer Folge allerdings mit diesen Problemen umzugehen vermochte, bescherte ihr Anerkennung vieler Gesandten aus Europa und in der späteren Geschichtsschreibung.
Außerdem hatte sie endlich auch die Gunst ihres eigenen Volkes auf ihrer Seite.

Mit Maria Theresia begann das bürgerliche Zeitalter der Dynastie der Habsburger, sie war volksnah, charmant und modernisierte den Staat. Maria Theresia schaffte es, sich innerhalb von ein paar Jahren zu einer großen Herrscherin zu machen. Sie wurde als Frau, die mit männlicher Energie ihre Dynastie verteidigt, wie eine sorgsame Mutter über ihr Reich herrscht und als Schwiegermutter  streng, aber behütend, über Europa wacht, tituliert. Diese verherrlichenden Würdigungen erhielten im Laufe der Jahrhunderte jedoch einen stets kritischeren Charakter und so wurden viele politische Handlungen der pragmatischen Monarchin des Öfteren in ein neues Licht gerückt.
Es zeigte sich, dass die warmherzige Regentin in einigen Belangen ihre kalte Schulter zeigte und sich aus diesem Grund in ihren letzten Jahren die Beziehung zu ihrem Sohn Joseph, der nach dem Tod von Franz Stephan im Jahr 1765 zum Mitregenten wurde, als überaus schwierig herausstellte. 

Maria Theresia – die Pragmatikerin

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Maria Theresia erfüllte die weibliche Aufgabe als Mutter ihrer Kinder und ihres Landes stets mit männlicher Energie © Nataliia Sokolovska/shutterstock

Maria Theresias Reformwerk gegen Ende des Österreichischen Erbfolgekriegs ist wohl die bedeutendste Unternehmung dieser großen Monarchin. Neben Kirche, Justiz und Verwaltungsapparat reformierte sie v. a.  das Bildungswesen. Bereits die Einführung der Unterrichtspflicht ließ erkennen, dass es ihr damals nur bedingt um das Wohl der Menschen ging. Zumindest betrachtete sie die Menschen stets im Ganzen, kaum aber war ihr der Einzelne wichtig. Ihr Ziel war es demnach nicht, mit der Unterrichtspflicht den Menschen das Lesen und Schreiben beizubringen und so die Ausbildung als geistige Entwicklung des Einzelnen zu garantieren. Vielmehr hatte die Unterrichtspflicht einen erzieherischen Charakter. Die Menschen sollten zu gut erzogenen Untertanen heranwachsen, die im besten Fall auch in der Lage sind, Sätze schriftlich zu formulieren und Texte sinnerfassend zu lesen.

Es zeigte sich, dass beinahe jede Reform die Leistungsfähigkeit des Staates im Fokus hatte. Bis zu ihrem Tode spannte sie dieses Reformwerk wie einen roten Faden durch das gesamte Staatswesen, kaum ein Bereich blieb unberührt.
Im Zuge ihrer Reformen kam nun immer öfter auch ihre andere Seite zum Vorschein: Sie war stets bemüht, ihren Glauben dem ganzen Volk aufzuerlegen. Die Homo­genisierung der einzig wahren, traditionellen Konfession war ihr ein großes Anliegen. Während griechisch-orthodoxe Christen, Protestanten und Juden um ihre Berechtigung in diesem Land kämpften, ließ Maria Theresia Angehörige dieser Glaubensrichtungen verfolgen und schickte sie mitunter ins Exil. Auch die sexuellen Aktivitäten ihres Volkes waren ihr ein Dorn im Auge und so nahm sie es mit dem sechsten Gebot besonders streng. Der eigens eingerichteten „Keuschheitskommission“ räumte sie das Recht ein, private Wohnungen zu durchsuchen, um alle „Umtriebigen“ zu entlarven und zu bestrafen. Gesetzeswidrig war demnach außerehelicher Sex, Prostitution (zu dieser Zeit gab es geschätzt 10.000 verfolgte Prostituierte in Wien), Homosexualität und anstößiges Verhalten. Bestrafungen reichten hin bis zur Deportation in die unrühmlichsten Gegenden des Landes.
Größter Kritiker Maria Theresia‘s in diesem Kontext war der berühmte Giacomo Casanova, der unter anderem beim „Wildpinkeln“ in Wien mit der Kommission in Berührung kam. Erbost erwähnte der Frauenliebhaber diese Kommission mehrmals in seinen Schriftwerken und nannte sie die „Quälgeister aller hübschen Mädchen“.

Doch so wichtig ihr ihre Religion auch war, zeigte sich Maria Theresia in jeglicher Hinsicht von einer strikt pragmatischen Seite, denn auch die Kirche blieb von ihren Reformen nicht verschont. Sie kürzte die Anzahl der kirchlichen Feiertage von 36 auf 16 Tage, um den Staat zu stärken und ihr Volk produktiver zu machen. Kaum finden sich politische Taten, die nicht auf ihre pragmatische Hingabe zum Wohl ihres Staates hindeuteten.
1745 ließ sie schrittweise über 40.000 Juden, die sie gerne auch als die „ärgste Pest“ bezeichnete, aus Prag per Dekret verbannen. Nur kurze Zeit darauf hob sie dieses Dekret aber teilweise wieder auf, da die Juden ja doch zu gute Steuerzahler und Kreditgeber waren, um gänzlich auf sie verzichten zu wollen. Auch in Wien durften Juden nur dann leben, wenn sie wirtschaftlich produktiv waren.
Protestanten schickte sie bald nicht mehr ins Exil, sondern siedelte diese in stark verwüsteten Gebieten an, da sie dort – wo sonst niemand leben wollte – als Landwirte nützlich sein sollten.
Erst im Jahr 1781, ein Jahr nach dem Tod von Maria Theresia, ermöglichte das Toleranzedikt von Kaiser Josef II., der in Sachen Toleranz nie Konsens mit seiner Mutter erreichte, dass andere Glaubensrichtungen ihre Religion freier ausüben konnten. 

Maria Theresias Verherrlichung

Wer A sagt, der muss auch B sagen. Wer Maria Theresia als warmherzige Mutter Österreichs bezeichnet – was in vielen Belangen auch gute Gründe hat – der muss sich auch dessen bewusst sein, dass sich die pragmatische Monarchin als eine von Gottes Gnaden eingesetzte Herrscherin fühlte, die nicht davor scheute, dem Volk ihre Lebensvorstellung aufzuzwingen. Maria Theresia war zweifelsfrei eine teils widersprüchliche Persönlichkeit, deren verherrlichende Darstellung in den Geschichtsbüchern dazu führte, sie bis hin ins 21. Jh. aufgrund ihrer Menschlichkeit und Barmherzigkeit zu würdigen, ohne jemals groß an diesen Eigenschaften zu zweifeln.