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Ein Artikel von REISEN-Magazin/Christiane Bartal | 12.01.2021 - 09:09
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Robert Rendl hat in der Pecherei seine Berufung und im Pech sein Glück gefunden © Christiane Bartal

Ein harziger Duft liegt in der Luft. Wir sind unterwegs in einem Waldstück in Waidmannsfeld, inmitten des größten zusammenhängenden Schwarzföhrengebietes Europas. Vernarbte Baumstämme zeugen davon, dass es in der Region um Wiener Neustadt, Piesting und Neunkirchen noch bis vor rund 40 Jahren den Beruf des Pechers gab. Für Tausende Familien war die Harzgewinnung Lebensgrundlage. Dazwischen finden sich „frische“ Pecherbäume, von denen ein wohltuender Geruch ausgeht.

Heute gibt es nur mehr eine Handvoll, die das Handwerk als Hobby oder aus Tradition ausüben. Robert Rendl, verheiratet und Vater zweier Söhne, ist der Einzige, der die Pecherei wieder hauptberuflich betreibt und mit den selbst hergestellten Harzprodukten – Pechbalsam, Lippenbalsam und Baumwundenbalsam  – sein tägliches Brot verdient. Auch Schwarzkieferharz-Seife hat er im Sortiment, die eine Seifensiederei aus seinem Harz herstellt.

Mit Lifestyle hat das nichts zu tun – wie wir schnell merken, während wir ihm bei der Arbeit über die Schulter schauen. Eher mit Rückbesinnung auf das Natürliche. Nadelbäume produzieren das pilztötende und antibakterielle Harz, um Wunden damit zu schließen. Die Schwarzföhre ist Meisterin darin. Seit jeher nutzen die Menschen das „Pech“, wie es auch genannt wird, als Balsam für die eigenen Wehwehchen: gegen Gelenksschmerzen, Zerrungen oder bei rissiger Haut. Und es wirkt, wie Robert Rendl am eigenen Körper erfahren hat. Der Aussteiger hat in der Pecherei seine Berufung und im Pech sein Glück gefunden.

Neuanfang mit Pech

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Robert Rendl: „Der Geruch des frischen Harzes ist etwas Wunderbares. Und die ätherischen Öle halten außerdem gesund“ © Christiane Bartal

Bis zu seinem 40. Lebensjahr war Rendl im Vertrieb eines großen Konzerns tätig. „Mit 20 war es mein großer Traum, Chef zu sein, ein großes Firmenauto zu haben und viel Geld zu verdienen. Fast hätte ich all das erreicht“, erinnert er sich. Doch dann kam das körperliche Burn-out. „Ich habe mir dann Auszeit genommen, mich für alte Heilmittel zu interessieren begonnen und viele Stunden im Wald verbracht. Ein befreundeter Pecher – Bernhard Kaiser, der das Handwerk von seinem Vater gelernt hat und selbst nebenberuflich Harz gewinnt – hat mir das Pecherhandwerk über zwei Saisonen hinweg beigebracht. Nach drei Jahren habe ich mich ganz darauf spezialisiert.“ Das spezielle Pecherwerkzeug stammt noch aus der Sammlung seines Großvaters – ein wertvolles Erbe, denn heutzutage werden Dexel, Fürhacke & Co. nicht mehr hergestellt.

Was beschaulich klingt, ist in Wahrheit ein Fulltime-Knochenjob, wenn auch ein selbstbestimmter: Jede Woche jeden Baum ein- bis zweimal aufsuchen, beinahe jedes Wochenende auf Märkten stehen und zwischendurch Pechbalsam rühren und ständig tüfteln, wie sich die Rezeptur weiter verbessern lässt. Woher kommt die Motivation dafür? „Mir haben natürliche Heilmittel geholfen. Ich sehe darin eine ideale Ergänzung zur Schulmedizin“, so Robert Rendl. „Und ich freue mich, wenn ich damit auch anderen Menschen helfen kann.“

Das Arbeitsjahr des Pechers

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Mit einem speziellen Hobel wird das Holz verletzt – von April bis Oktober ein- bis zweimal pro Woche. Dadurch wird der Harzfluss angeregt und aufrechterhalten © Christiane Bartal

Ende März bzw. Anfang April, sobald die frostfreien Tage überwiegen, beginnt das Arbeitsjahr im Wald. Nach dem „Zeschen“, dem groben Abhacken der dicken Borke, werden die Rinde mit dem Rintler hobelgerecht vorbereitet, mit dem Fürhackdexel V-förmig zwei Kerben (die „Laß“) in das Holz geschlagen und Leitspäne (Pechscharten) eingesetzt.

Der Becher, der das herabfließende Harz auffängt, wird zwischen eine Kerbe und einen eingeschlagenen Pechnagel eingeklemmt. Ein Deckel verhindert, dass Nadeln und dergleichen das gesammelte Harz verunreinigen. Zuletzt wird der Stamm oberhalb der Leitspäne einige Millimeter tief in die Querrichtung angehobelt. Das Öffnen der Harzkanäle regt den Harzfluss an, der sich bereits nach wenigen Sekunden durch einzelne Harztröpfchen bemerkbar macht. Im ersten Jahr geschieht das ganz unten am Fuße des Baumes. Wird der Baum bereits mehrere Jahre bearbeitet, muss der Pecher auf der Leiter mehrere Meter hoch hinauf kraxeln.
Die Arbeit im Frühjahr ist die schwerste. Für mich ist nicht vorstellbar, wie das die Pecher früher, die jedes Jahr bis zu 4.000 Bäume bearbeitet haben, geschafft haben“, erzählt Robert Rendl.

Zwischen April und Oktober muss der Hobel alle vier bis sechs Tage erneut oberhalb der letzten angehobelten Fläche angesetzt werden, um den Harzfluss aufrechtzuerhalten. Dabei wird gegebenenfalls das volle Pechhäferln gegen ein leeres eingetauscht. Nach jedem Regenwetter gilt es, das Wasser in jedem einzelnen Becher auszuleeren, um die obenauf schwimmenden wertvollen ätherischen Öle, die ansonsten über den Häferlrand hinauslaufen würden, nicht zu verlieren. 

Im Herbst, meist Anfang Oktober, sobald sich die ersten Frosttage ankündigen, wird das Scherrpech, die Harzkrusten, vom Stamm gekratzt. Dieses Scherrpech ist minderwertiger, weil weniger terpentinhaltig und mit Holzresten und Insekten verunreinigt, eignet sich aber beispielsweise zum Räuchern.

Den Winter nutzt Robert Rendl, um neue Leitspäne mit einem speziellen Schartenhobel anzufertigen, die Pechhäferln zu reinigen, das Werkzeug auf Vordermann zu bringen und den Pechbalsam auf Adventmärkten unter die Leute zu bringen. Mitunter kann es auch sein, dass sich im darauffolgenden Jahr neu entwickelte Produkte im Sortiment wiederfinden.

„Mir ist bewusst, dass ich bei meiner Arbeit Bäume verletze“, erklärt der begeisterte Pecher. „Diese Form der Harzgewinnung ist auch nur mit der Schwarzföhre möglich, weil sie so unheimlich robust ist. Natürlich gehört ein gewisser Respekt dem Baum gegenüber dazu. Und im Winter muss man ihm seine Ruhephase gönnen.“ Derart angepechte Bäume können selbst nach 40 Jahren Nutzung noch 100 Jahre alt werden, wie alte Pecherbäume, die heute noch im Wald stehen, beweisen.

Hat die Pecherei Zukunft?

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Schwarzföhrenharz, Bienenwachs und Olivenöl – das sind alle Zutaten für den heilsamen Pechbalsam © Christiane Bartal

Rendls Konzept funktioniert ohne Werbung, rein über die Wirksamkeit der Produkte und Weiterempfehlungen. „Ich hätte selbst nie gedacht, dass sich das so gut entwickeln wird. Derzeit ist die Nachfrage nach meinen Produkten sogar höher, als ich mit dem Harz, das meine Bäume liefern, produzieren kann“, so Robert Rendl.

Zwischen 150 und 200 Bäume, die in einem von ihm gepachteten Wald stehen, bewirtschaftet er zur Zeit. Ein Baum liefert 4 bis 6  kg Harz pro Jahr „Mir ist wichtig, dass ich nur so viel Pech von den Bäumen nehme, wie ich für meine Produkte brauche.“ Den Pechbalsam, das Hauptprodukt im Sortiment, rührt er in der Werkstatt im Keller seines Einfamilienhauses an. Behutsam verrührt er Bienenwachs, Olivenöl sowie gereinigtes und gesiebtes Harz.

Die Chancen stehen gut, dass die Pecherei doch nicht in Vergessenheit gerät. „Das Schöne ist, dass sich nicht nur ältere Menschen, die den Pechbalsam noch aus ihrer Jugend kennen, dafür interessieren, sondern auch junge“, freut sich Robert Rendl. Er selbst, aber auch sein „Lehrmeister“ Bernhard Kaiser, bieten Kurse für Erwachsene und Walderlebnistage für Kindergärten und Schulen an. Und seit 2011 ist „Die Pecherei in Niederösterreich“ sogar von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe anerkannt.

Bleibt noch zu klären, wie man das klebrige Harz am Ende eines Arbeitstages wieder von den Fingern bekommt. Ganz einfach: Harz ist zwar nicht wasser-, aber dafür fettlöslich. Also Hände mit Olivenöl einreiben und mit einem Papiertuch abwischen.

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